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Digitalisierung | Wo Omnichannel kein Buzzword ist

Digitalisierung | Wo Omnichannel kein Buzzword ist

Manche Direct-to-consumer-Marken in den USA verknüpfen ihr Angebot mit einem äußerst persönlichen Service – und bieten auf inventarfreien Flächen eine Kundenberatung, von der sich der stationäre Handel eine Scheibe abschneiden könnte.

Text: Petrina Engelke, Nicoletta Schaper. Fotos: Firmen

„Zuerst einmal: Glückwunsch!“, sagt die Stylistin, die eine Kundin zur Anprobe begleitet. Jene sucht ein Outfit für ein Bewerbungsgespräch als CEO und es hängen schon passende Vorschläge in ihrer Größe parat. Solche Details wissen die Beraterinnen bei M. M. LaFleur, ehe sie im Showroom auf ihre Kundschaft treffen.

M. M. LaFleur verkauft online Mode für Karrierefrauen und bietet in zehn Städten dazu eine kostenlose, einstündige Beratung in einer Privatkabine an. „Out Of Office“ nennt das Unternehmen das. Termine macht man online und bei der Anmeldung ermittelt das Unternehmen direkt Daten, u. a. mit anklickbaren Silhouetten oder Fragen nach der Hosengröße bei bestimmten anderen Marken, ein Extrafeld gilt dem Anlass und Fokus für die Beratung.

Der Showroom in New York hat etwas von einem Spa: Eine Rezeptionistin bringt zur Begrüßung Prosecco oder Kaffee und eine Stylistin führt die Kundin in einen eigenen Raum. Dort hängen Kleider, die sie bereits mit Hilfe der Kundinnendaten zusammengestellt hat. Nun bespricht sie Schnitte, Materialien und Wünsche mit der Kundin und aktualisiert die Auswahl, während jene sich umzieht. In einem Test passt ausnahmslos alles und das gehört natürlich zum Kalkül: Kundinnen sollen staunen, wie wohl man sich beim Anprobieren fühlen kann.

Schon im Jahr 2011 brach Bonobos alle Regeln mit der Idee eines inventarfreien „Guide Shops“, den Kunden mit leeren Händen verlassen. 2017 kaufte der US-Handelsriese Walmart die Herrenmodemarke für 310 Millionen US-Dollar und ließ sogleich verlauten: Am Geschäftsgebaren wird nicht gerüttelt. Bonobos eröffnet weitere „Guide Shops“, feuert seine Mitarbeiter allein schon bei der Anrede an – sie heißen im unternehmensintern „Ninjas“ – und trainiert sie intensiv für den Service, indem sie sowohl im Showroom als auch in der Datenanalyse Erfahrungen sammeln.

Am Ende sucht die Kundin von „ihrer“ Stange aus, was in Frage kommt. Die Stylistin stellt die Auswahl auch im Onlineprofil der Kundin zusammen und ruft die Preise ab. Einen Kaufzwang gibt es nicht. Was nicht gekauft wird, wandert in die Wunschliste – so kann man Kundenbindung auch anlegen.

Eine Lehre aus diesen Firmengeschichten kann heißen: Big Data helfen immens, und das Gründerfieber kleiner Start-ups wirkt sich positiv aufs Personal aus. Doch im Grunde signalisieren diese fortschrittlichen Geschäftsideen eine Rückkehr zu den Wurzeln: Einkaufen beim Krämer oder Schneider, der einen genau kennt. Die Namen, Größen und Vorlieben der Stammkundschaft kann man schließlich im stationären Handel auch festhalten, ob mit Software oder im Zettelkasten. Auch das Gehirn des Verkaufspersonals ist ein prima Datenspeicher – vorausgesetzt, man gibt seinem Besitzer genug Anreize dafür, sich persönlich zu engagieren.

B8ta
Ein geglücktes Experiment
Anfassen erlaubt: Die amerikanische Handelskette B8ta verbindet die Vorzüge von stationär mit online.

Preisschilder? Gibt es nicht. Auch keine Verkäufer, zumindest nicht im klassischen Sinne. B8ta ist eine 2015 gegründete amerikanische Handelskette mit Stores, ähnlich wie Galerien. Das Ausprobieren, etwa von technischen Neuheiten, Kleidung oder Beauty-Produkten, ist nicht nur erlaubt, sondern unbedingt erwünscht. Dabei lebt B8ta nicht vom Warenumsatz, sondern von der Miete, die Hersteller für Fläche in den Stores zahlen. Eine Kundenberatung von den auf die Produkte geschulten Mitarbeitern gibt es sehr wohl, darüber hinaus können aber auch Informationen über das Tablet neben dem Produkt eingeholt werden. Im Gegenzug bekommen die Hersteller wertvolle Daten zur Verfügung gestellt, die Aufschluss darüber geben, wie lang sich wie viele Consumer mit dem jeweiligen Produkt beschäftigt oder was sie die Mitarbeiter gefragt haben. Kameras in den Stores zeichnen den Kundenbesuch zusätzlich auf und können von Herstellerseite mitverfolgt werden. So erhält der Hersteller Informationen, die ihm in der Zusammenarbeit mit dem klassischen Multibrandhandel oft fehlen oder nur zeitverzögert vermittelt werden. Das junge Unternehmen aus San Francisco stellt mit seinem Konzept die ursprüngliche Idee des Einzelhandels auf den Kopf. Es zeigt nicht nur eine Möglichkeit, wie Einzelhandel künftig funktionieren könnte, sondern verweist auch auf die entscheidende Bedeutung von Kundeninformationen.

https://b8ta.com

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