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Sustainability | It’s the salery, stupid

Sustainability | It’s the salery, stupid

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Die Diskussion um Kinderarbeit in der Textilindustrie lenkt von den wahren menschenrechtlichen Problemen der Branche ab.

Ein Kommentar von Georg Wimmer

Es ist kein Zufall, dass das Wort Textilindustrie im letzten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zur Kinderarbeit gar nicht vorkommt. Auch im Strategiepapier zur Beseitigung der Kinderarbeit bis 2025 ist den Autoren die Branche keine müde Zeile wert. Die Produktion von Tuch und T-Shirts stellt beim globalen Blick auf das Phänomen längst kein großes Problem mehr dar. Mehr als zwei Drittel der weltweit arbeitenden Mädchen und Jungen sind in der Landwirtschaft tätig. Die allermeisten Minderjährigen arbeiten Seite an Seite mit ihren Eltern. Der Großteil der Kinder, die arbeiten, geht auch zur Schule. Wer ausbeuterische Kinderarbeit wirksam bekämpfen will, muss diese Fakten im Kopf haben.

Die Textilindustrie ist dennoch kein Hort von Freude und Glückseligkeit. Es gibt Formen extremer Ausbeutung, wie das Sumangali-System in Indien. Hier wird jungen Frauen vorgegaukelt, sie könnten sich in kurzer Zeit die Aussteuer für ihre Heirat verdienen. Tatsächlich werden sie von ihren Familien isoliert, müssen 80 Stunden die Wochen schuften und in Dreckslöchern schlafen. Der Kampf gegen solche modernen Formen von Sklaverei braucht andere Strategien als gegen das, was landläufig unter Kinderarbeit subsumiert wird. Wenn heute Fälle von Kinderarbeit in der Textilbranche publik werden, handelt es sich in der Regel um Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren, für die Arbeit in den Fabriken aufgrund der harten Bedingungen verboten ist. Schlimm genug, die mediale Fixierung auf das Thema geht an den wahren menschenrechtlichen Problemen in der Branche aber weit vorbei. Als Faustregel gilt: Kinder werden dort besonders häufig ausgebeutet, wo auch Erwachsene ausgebeutet werden, wo der Staat nicht kontrolliert, wo Gewerkschaften verboten sind und wo sich Menschen für Hungerlöhne abrackern.

Hier liegt der wahre Skandal: Frauen in der äthiopischen Textilindustrie bekommen aktuell 23 US-Dollar im Monat. In Myanmar und Bangladesch liegt der Lohn bei 95, in Kambodscha bei 182 US-Dollar. Stellen wir uns ein Ehepaar in Bangladesch vor, beide voll berufstätig mit jeweils um die 60 Wochenstunden. Für den Transport zur Fabrik müssen sie zahlen und auch jede Hütte in einem besseren Slum kostet Miete. Wie viel wird ihnen zum Leben bleiben? Und wer erledigt zu Hause die Wäsche, das Kochen und die Aufsicht der kleineren Kinder, wenn die Eltern kaum da sind? Es sind die älteren Kinder, die inzwischen jene so genannten „reproduktiven“ Aufgaben übernommen haben, die früher die Frauen erledigten.

Das Thema Kinderarbeit in der Textilindustrie lenkt von den wahren Problemen ab, so herzlos das klingen mag. Der Blick auf die Kinder lädt die Debatte emotional auf und zugleich entpolitisiert er sie, weil suggeriert wird: Wenn nur keine Mädchen und Jungen arbeiten, ist alles gut. Über die Löhne reden wir ein andermal.

Georg Wimmer ist Journalist und Autor. Sein Buch „Kinderarbeit – ein Tabu. Mythen, Fakten, Perspektiven“ ist im Mandelbaum Verlag erschienen.

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