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Digitalisierung | Retail-Visionäre

Digitalisierung | Retail-Visionäre

Wenn die Herausforderung der Zukunft Omnichannel ist, kann die Antwort auf alle Fragen nicht Onlineshop heißen. Digitale Technologien sind die Parameter, an denen sich die Gestaltung der Fläche in Zukunft ausrichtet. Denn die digitale Revolution im stationären Handel findet nicht auf einem Touchscreen statt, sie geht viel tiefer: Die Grenzen zwischen Online und Offline verschwimmen. Wer immer dachte, der größte Trumpf von Offline gegenüber Online sei der Service, sollte sich die Trendwende genauer ansehen, denn Offline lernt gerade den Service von Online.

Text. Isabel Faiss. Fotos. Stores

WithMe Pop-up-Store, Chicago

Der Retail Flashmob

„Warum sollte man für jede Marke eine eigene physische Präsenz bauen? Bei ShopWithMe ändern wir einfach die Dateien anstatt der Einrichtung, um eine neue Erfahrung zu bieten.“ WithMe Co-Founder Danielle Jenkins

Während die Medien sie als die Pioniere des innovativen Retails feierten, schimpften andere sie Spinner. Wer würde schon in einem Store einkaufen wollen, der sich völlig unpersönlich wie ein betretbarer Onlineshop anfühlt und wo statt Mitarbeitern Touchscreens beraten und Umkleiden sich auf Knopfdruck herabsenken? Vier Jahre später gilt das dieses Konzept zurecht als Meilenstein.

Ihre Standortwahl hatte historischen Charakter. Am Pioneer Square in Chicago errichtete 1780 der Einwanderer und Geschäftsmann Jean Baptiste Point du Sable ein Geschäft. Im November 2015 baute hier in nur wenigen Tagen das Designbüro Giorgio Borruso Design aus Los Angeles gemeinsam mit dem Technik-Start-up WithMe aus Las Vegas den ersten ShopWithMe Mobile Pop-up-Store auf: ein Showroom für ein Konzept, an das damals noch wenige glaubten Es war die nahtlose Verbindung von Online- und Offlinehandel am PoS. Dafür stellte das Team traditionelle Systematiken des stationären Retails radikal in Frage.

Interaktive Touchscreens

ShopWithMe setzt vor allem auf interaktive Elemente und RFID-Technologie, die digitale und physische Erlebnisse miteinander kombiniert. Herzstück des Stores ist der sogenannte Shapeshifter, eine modulare Rückwand bestehend aus über 100 automatisch ausziehbaren Regalen, an deren Stirnseite Displays sind, die über den RFID-Chip der Produkte Informationen einblenden und sich wie programmierbare Pixel steuern lassen. In einem kuppelförmigen Virtual Reality Dome im Zentrum des Stores kann man zudem in die Imagewelt einer Marke eintauchen.

So funktioniert der Einkauf

Interaktive Touchscreens informieren zu jedem Produkt und geben auch Tipps fürs Styling – man legt einfach ein Produkt darauf und bekommt, was man möchte. Anschließend kann man das Produkt wie im Onlineshop in der gewünschten Farbe und Größe auswählen und in den Warenkorb legen. In diesem Fall physisch, denn es wird von einem Mitarbeiter in einem Fach hinterlegt. Sobald man dieses Fach öffnet oder vor einen der vier Umkleidespiegel tritt, senkt sich um einen herum eine von vier Drop-down-Umkleidekabinen als Vorhang von oben herab.

Der Magic Mirror

Ein Spiegeldisplay mit RFID-fähigem Touchscreen in der Umkleidekabine berät wie wir es aus dem Onlineshopping heute kennen: mit Vorschlägen und Shop-the-Look Funktionen. Über den Spiegel lassen sich auch weitere Größen direkt vom Servicepersonal in die Umkleidekabine ordern oder falls nicht auf Lager nach Hause liefern. Auch der Bezahlvorgang läuft am Bildschirm entweder über RFID bargeldlos per Kreditkarte oder über eine App ab.

Zara Flagshipstore/Westfield Stratford, London

Digitaler Meilenstein

Westfield Stratford markierte bei der Eröffnung im Frühjahr 2018 einen Meilenstein. Mit dem neuen Zara Flagshipstore in London ging die Inditex Gruppe in die digitale Offensive. Das Unternehmen zählte schon immer zu den Vorreitern bei Themen wie Big-Data-Analyse und der Digitalisierung der Warensteuerung. Diesem Vorsprung gaben sie nun auch im Retail ein Gesicht.

„Unser Businessmodel kombiniert stationär und digital nahtlos. Wir sind auf die neuen Möglichkeiten, die uns auch neue Kunden bringt, gut vorbereitet.“ Pablo Isla, CEO Inditex

Neues Flächendesign

Neben den üblichen Kollektionsbereichen für Frauen, Männer und Kinder gibt es hier zum ersten Mal in einem Zara Store einen Bereich, der ausschließlich dem Onlineshopping und der Verknüpfung von Online und Offline gewidmet ist. Hier können Kundinnen an Touchscreens ihre Onlinebestellung abwickeln und dank eines QR- oder PIN-Codes diese dann auch selbst abholen.

Der digitale Mehrwert

… zieht sich bis in die Umkleidekabine durch. Betritt eine Kundin mit einem Kleidungsstück die Umkleidekabine, zeigt ihr der Magic Mirror auf Wunsch Kombinationsmöglichkeiten und passende Accessoires zum aktuellen Outfit, indem er über RFID jedes Kollektionsteil erkennt. Bezahlt wird wahlweise am Self Check-out Counter über die Zara-App auf dem Smartphone oder den Bezahlanbieter InWallet. Dazu erkennt der Counter selbst die Ware, sodass die Kundinnen ihren Einkauf nur noch per Klick bestätigen müssen. Lange Schlangen vor den Kassen sind damit passé.

Der Job des Mitarbeiters

Jeder Mitarbeiter erhält ein iPad, über das er seine Kunden beraten kann und auf Wunsch Zahlungen abwickelt.

Selfridges/London

Als einer der Ersten

Monumental und ehrwürdig. Wer vor Selfridges in London steht, vermutet hinter der Fassade eher Dinosaurierknochen als visionäre Trendsetter. Doch wenn dieser alteingesessene Platzhirsch seinen Mitstreitern etwas voraus hat, ist es der Pioniergeist. Als einer der Ersten stellte man sich hier die richtigen Fragen.

Click and Collect

Schon 2013 führte Selfridges als einer der ersten eine Click-and-Collect- Station ein, die verbunden mit 30 Minuten kostenfreiem Parken in Londons Innenstadt schnell in aller Munde war. Dazu kamen die Services Try before they fly, ein cleverer Ansatz, um die Retourenquoten gering zu halten, und iPads neben der Station, mithilfe derer die Kunden direkt die nächste Order aufgeben konnten.

Mit der Selfridges App

 2016 kam der nächste Entwicklungsschritt aus dem Innovationsplan des Managements zur Umsetzung: die eigene, globale App. Bei den größenmäßig vergleichbaren Departmentstores war Selfridges auch damit der erste. Die App ermöglicht auch die Funktion Shop by Instagram und verlinkt damit in die sozialen Medien.

Nike House of Innovations/New York, Schanghai

Der neue Elfenbeinturm

Mit den Eröffnungen des Nike House of Innovation 000 in New York und dem House of Innovation 001 in Schanghai im Oktober und November 2018 richtete das Unternehmen eine Hommage an die legendäre Niketown. In New York zeigt die Sportmarke auf sieben Stockwerken direkt in der Fifth Avenue alles, was sie an digitalem und innovativem Retail-Know-how zu bieten hat.

Im Mittelpunkt

… steht der Service, der individualisierbare Produkte, aber vor allem auch das nahtlose Umschalten zwischen Online und Offline bietet. Bestes Beispiel ist Nike by You, ein spezieller DIY-Bereich in dem Nike-Plus-Mitglieder einen Termin bei einem Designer buchen können, um mit ihm gemeinsam ihre eigenen Schuhe zu gestalten. Für Nike liegt die Antwort auf die Frage nach der Zukunft des stationären Handels in der Herausforderung, über die Einbindung digitaler Services, die effiziente Nutzung ihrer Erkenntnisse aus dem Onlineshop und die Mitarbeiter im Store das Angebot als unvergleichbares Shoppingerlebnis an den Kunden zu kommunizieren. Analog dem Nike by Melsore Store gibt es daher ein Stockwerk, das sich ausschließlich auf die lokale Community in New York bezieht. Der Nike Speed Shop füllt seine Regale fast schon in Echtzeit unter Berücksichtigung der im Onlineshop gesammelten Daten über die Vorlieben und Trends der lokalen Community auf. Kunden können in der Sneaker Bar entweder mithilfe eines Store-Mitarbeiters oder per lokalem Filter ihre Favoriten heraussuchen. Nike-Plus-Mitgliedern bietet Nike außerdem die Möglichkeit, sich über ihr Smartphone Sneakers in einem Schließfach hinterlegen zu lassen, dass sie mit einem zugesendeten Code öffnen können.

Über das Smartphone

Werden beispielsweise Nike-Plus-Mitglieder beim Betreten des Stores automatisch in ihren Account eingeloggt und erkannt. Über die Funktion Scan to Try kann man sich außerdem Schuhe zum Anprobieren anfordern. Auf jeder Schaufensterpuppe findet man einen QR-Code, der einen mit der Funktion Shop the Look verbindet, wo man einzelne Produkte direkt in seiner Größe im Store anfragen und in einer Umkleidekabine hinterlegen lassen kann. Das bargeldlose Bezahlen per App an Instant Check-out Stations ist hier fast schon Standard. 

By/Schanghai

Online geht Offline

Es riecht noch nach frischer Farbe. Der erste stationäre Laden des angesagten chinesischen Onlineshops für internationale High Fashion, Streetwear und Avantgardedesigner By eröffnete in diesem Frühjahr in Schanghai. Im Untergeschoss des Einkaufszentrums Soho Fuxing fand ihn erst mal nur, wer ihn online suchte.

Warren Wang

Er ist als visionärer Investor und Insider der Modeszene eine berühmte Gallionsfigur in Schanghai. Er ist nicht nur Inhaber des Onlineshops By, sondern auch Initiator des Stores, den die Architekten von Spacemen kreierten. Die einzige Aufgabenstellung von Wang war es, die Einrichtung so flexibel zu gestalten, dass sich der Store im Handumdrehen für einen Launchevent, eine Ausstellung, ein Konzert oder eine Fashion Show umbauen lässt.

Dreh- und Angelpunkt

… ist dabei die stetige Vernetzung zum Onlineshop und die zentralen Social-Media-Kanäle. Daher hat das erfolgreichste Instagram-Phänomen Outfit of the Day auch im Store einen sehr prominenten Platz bekommen und wird täglich aktualisiert.

Everlane/New York, Valencia

Radikale Transparenz

Wenn wir über die Revolution im stationären Handel sprechen, muss sich diese nicht immer digital abspielen. Die New Yorker Marke Everlane hat ihr Innovationskonzept rund um das Thema kompromisslose Transparenz aufgebaut. Transportiert wird das Ganze nicht nur über technische Tools im Store, sondern vor allem über Social Media.

Den direkten Draht

… zur Produktion kann der Kunde im Everlane Store in Valencia an der Wand finden, wo er per Standleitung die Geräusche derProduktionshalle für Denim belauscht. Außerdem kann er sich an Touchscreens zu jedem Produkt eine exakte Kostenaufstellung anzeigen lassen, die aufgesplittet in Material-, Produktions-, Transport-, Zoll- und Verwaltungskosten anzeigt, was die Ware tatsächlich kostet. Keine versteckten Zusatzkosten für die Imagewerte der Marke verspricht Everlane. Kommuniziert wird diese Transparenz – vor allem die strenge Auswahl und Kontrolle der Produktionspartner – vor allem über Instagram.

Ein integriertes CRM-System

Ermöglicht es außerdem, Produkte im Store umzutauschen, bargeldlos zu bezahlen und sich Guthaben auf einen Einkauf anrechnen zu lassen. Außerdem lassen sich persönliche Shoppingtermine außerhalb der Öffnungszeiten buchen, ebenso wie eine persönliche Stilberatung.

Nordstrom/Los Angeles

Der Store ohne Ware

Einer der Pioniere für den Retail der Zukunft ist das US-amerikanische Unternehmen Nordstrom. Die Nordstrom Local Filiale in Los Angeles eröffnete bereits im November 2017. Der Clou: Der Laden selbst bot den Service, die Ware kam aus einme der  nahe gelegenen Lager.

Auf 280 Quadratmeter Fläche …

… findet man hier kaum Ware, dafür aber jede Menge Service. Jeder Kunde wird individuell und persönlich beraten, kann sich die Kollektionen auf einem Touchscreen ansehen, bekommt professionelle Stylingtipps und bestellt sich die gewünschte Ware dann in der passenden Größe in den Store. In acht Ankleidezimmern können Beratungen stattfinden. Geliefert wird die Kleidung dann per Kurier aus einem der zehn Kaufhäuser der Marke im Großraum Los Angeles oder direkt aus dem E-Commerce-Lager.

Es ist wie Onlineshopping in Echtzeit

Man erstellt seinen Einkaufskorb direkt mithilfe der personalisierten Suchmaschine – in Form des Stylisten – und probiert die Kleidung sofort an. Der Laden ohne Ware wird so zum Store mit schier unbegrenztem Angebot. Das lästige Durchscrollen des Webshops entfällt, das übernimmt sozusagen der Servicemitarbeiter, er schlägt unterstützt durch die App Style Board Outfits und Kombinationsmöglichkeiten vor. Jedes Teil lässt sich in jeder Farbe und jeder Größe liefern. Bis die bestellte Ware tatsächlich im Store ankommt, vertreibt sich der Kunde die Zeit an der Bar, im integrierten Beautysalon oder im Showroom.

Die Blaupause hat sich als Erfolgsmodell durchgesetzt

Inzwischen steht fest, dass das Shoppingkonzept der Zukunft genau auf dieser Idee basiert: Kleine Läden mit persönlicher Wohlfühlatmosphäre, intensiver Service durch professionelle Beratung und die fast unendliche Verfügbarkeit von Ware in Echtzeit.

Bonprix/Hamburg

Fashion Connect

Der Titel des im Februar 2019 in Hamburg eröffneten Pilot Stores von Bonprix verrät gleichzeitig auch die Intention der Otto Group. Die Vorzüge des stationären Shoppingerlebnisses sollen hier konsequent mit denen des Onlineshoppings kombiniert werden. Für Bonprix ist es vor allem ein experimentelles Shopping-Lab.

„Wir werden ganz viel wahrnehmen und lernen, unsere Eindrücke direkt in unser Konzept einfließen lassen und den Store ständig weiterentwickeln“, so Daniel Füchtenschnieder, Geschäftsführer Bonprix Retail GmbH.

Wie eine Fernbedienung für den Store

… funktioniert die weiterentwickelte Bonprix App. Sie soll die Kundin von Anfang bis Ende durch den ersten Fashion Connect Pilot Store führen, begleiten und digital unterstützen. Mit ihr checkt die Kundin in den Laden ein, wählt die passende Größe eines Teils aus, das sie anprobieren möchte, und lässt es sich direkt in der Umkleidekabine hinterlegen. Dort spiet ein großes Display die Inhalte der Bonprix App ein und zeigt die nächsten Schritte an. Man kann sich auch andere Größen ordern oder über einen Knopf einen Servicemitarbeiter rufen.

Der Check-out

… funktioniert über RFID-Technologie, wodurch die App automatisch beim Verlassen der Umkleidekabine erkennt, welche Teile die Kundin mitnimmt. Gezahlt wird per Paypal über die App oder per EC-Karte am Self Check-out Counter.

„Die Otto Group testet verschiedene Konzepte. Der Laboransatz, den Bonprix mit Fashion Connect verfolgt, ist dabei ein besonders innovativer“, sagt Sven Seidel, Vorstand Multichannel-Retail der Otto Group.

Benetton/Padua

Hightech in Farbe

Nach den Eröffnungen seines ersten Hightech-Konzeptes in London und Turin kam im November 2018 dieser Benetton Store in Padua hinzu. 2019 sollen weitere Formate in europäischen Städten folgen.

Omnichannel Retailing

So heißt die Zielsetzung. In Padua bezog Benetton dafür ein historisches Kino, das Supercinema Principe, eröffnet 1931. Bezugnehmend auf diese Historie befinden sich neben dem Eingang des Stores zwei kleine Kinosäle, in denen auf Großbildleinwänden die Geschichte und die Werte der Marke vermittelt werden.

Die Knitwear-Bar

Sie ist das Herzstück des 1.600 Quadratmeter großen Stores auf drei Etagen. Hier können Kundenwünsche auf einer Strickmaschine direkt umgesetzt werden.

Mit Smartphone oder Karte

… bezahlen Kunden an den rund designten Bezahltheken, was einen schnellen Service ohne Warteschlangen garantieren soll.

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