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Sustainability | Nachhaltigkeit ist eine Haltung

Sustainability | Nachhaltigkeit ist eine Haltung

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Gute Produktionsbedingungen, hohe Qualität, stete Optimierung aller Prozesse: Gerade in Familienunternehmen ist nachhaltiges Wirtschaften kein Etikett, das man sich jetzt, da es en vogue ist, anheftet. An die nächste Generation zu denken, ist hier Prinzip.

Text: Isabel Faiss, Martina Müllner-Seybold. Fotos: Hersteller

„Nachhaltigkeit beginnt für mich im Gespräch über Konditionen“, sagt Albertos geschäftsführender Gesellschafter Marco Lanowy. „Indem wir eben keine zehn Prozent Rücknahmequote akzeptieren, keine Sonderposten produzieren, keine zusätzlichen Flash- und Zwischenkollektionen in den Markt drücken. Wir wissen alle, dass damit nur scheinbar Geschäfte gemacht werden. In Wahrheit verschwenden diese Praktiken Ressourcen: für die Ware, für den Transport, auch im Unternehmen. Am Ende bleiben Warenbestände, die nicht mehr vermarktbar sind, und die schaden allen: der Marke, dem Handel, der Umwelt.“ Das gesteigerte Interesse an nachhaltigen Themen ist für Alberto ein ernstes Anliegen und kein Grund, in Aktionismus auszubrechen. „Wir sind ein Unternehmen, das fast 100 Jahre besteht, unser Auftrag lautet nicht, es jetzt möglichst grün anzustreichen, sondern ihm weitere 100 Jahre zu eröffnen. Dass wir Antworten geben müssen und können, ist selbstverständlich. Doch für mich endet Nachhaltigkeit nicht damit, den Anteil an Biobaumwolle in unseren Hosen zu steigern. Nachhaltigkeit ist für mich vielmehr, ein Produkt zu erzeugen, mit dem der Konsument seinerseits zur Nachhaltigkeit beitragen kann. Weil die Rücksprungrate unserer Hosen eben so gut ist, dass man sie nicht nach einmal Tragen waschen muss. Oder schlicht: weil sie hält, weil sie passt, weil sie ein Lieblingsteil ist.“

Das Ohr am Markt

Gerade in diesem Punkt hat Alberto viel vom direkten Austausch mit Konsumenten profitiert, egal ob im eigenen Store in Mönchengladbach oder auf Fahrradmessen, wo Alberto seine Fahrradjeans präsentiert hat, nachdem der normale Handel dafür nur laues Interesse gezeigt hat. „Das Ergebnis eines solchen Dialogs sind rund 100 neue Händler, die Alberto nur mit seinen Fahrradjeans überzeugt hat. Da könnte man jetzt natürlich sagen, dass Nachhaltigkeit und Wachstum ein Paradoxon sind, aber wir können von uns behaupten, dass wir unsere Gewinne stets sozialverträglich erwirtschaftet haben. Was ich persönlich als die Grundverantwortung jedes Unternehmers erachte“, betont Marco Lanowy. „Als Unternehmen müssen wir mehrere Dinge in Balance halten: die faire Bezahlung der Arbeiter, die Schonung von Ressourcen in allen Veredelungsprozessen und eben auch die Interessen des Marktes und der Kunden. Und das alles in Einklang mit den Interessen unseres Unternehmens. Nun haben wir das Glück, dass wir ein Familienunternehmen sind, kein Investitionsobjekt, das jedes Quartal Steigerungen abwerfen muss. Das erlaubt es uns, Nachhaltigkeit als das zu begreifen, was es ist – nämlich ein nie endender Prozess, in dem man täglich kleine Schritte beitragen kann, dass etwas besser wird.“

Macht oder Ohnmacht?
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Icons, die man lange behält, will Penn & Ink N.Y schaffen.

„100 Milliarden neue Kleidungsstücke pro Jahr? Wenn ich solche Zahlen höre, schäme ich mich richtiggehend für meine Branche“, sagt Mark de Lorme, der gemeinsam mit seiner Frau Felice die holländische Damenmarke Penn & Ink N.Y gegründet hat. „Es ist ein Schlamassel und angesichts solcher Zahlen versteht man auch, dass es nicht darum geht, ein bisschen mehr Bio in unsere Stoffe zu mischen. Für die ganze Branche kann ich weiß Gott kein Rezept geben – außer, dass mir klar ist, dass die wirkliche Veränderung erst eintritt, wenn auch die Großen mitziehen. Wenn die sich ändern, wird sich wirklich etwas ändern. Aber werden sie das tun? Da müsste sich ja erst einmal unser Wirtschaftsprinzip ändern, da müsste das Wachstumsprinzip, das über allem steht, in Frage gestellt werden.“

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„Lausige Sachen werden nicht Vintage, sondern Müll.“ Mark de Lorme, Penn & Ink

Das Thema Nachhaltigkeit macht den Inhaber der erfolgreichen Contemporary Brand nachdenklich. „Ich frage mich jeden Tag, was wir besser machen können. Es tut uns gut, dass unsere Tochter ins Unternehmen gekommen ist, ihre Generation stellt diese Fragen mit Nachdruck. Meine Frau Felice und ich hatten damals einen anderen Grund, unsere Marke zu starten – aber auch der hat schon viel mit Nachhaltigkeit zu tun: Wir wollen echte Icons schaffen. Wenn eine Frau einmal den perfekten blauen Blazer gefunden hat, braucht sie nicht noch 10 andere. Unser Anspruch ist es, diese Lieblingsteile zu schaffen.“ Langlebigkeit vor Trends ist bei Penn & Ink erklärtes Prinzip. „Trends inspirieren mich weniger, Vintage dagegen sehr, weil es viel Klasse braucht, dass etwas Jahre später aktuell und schön ist. Mit diesem Vorbild im Kopf schließt sich einiges von selbst aus – schlechte Qualität zum Beispiel. Lausige Sachen werden nicht Vintage, sondern Müll.“

In Reichweite

Die Produktion in Europa, überwiegend in Portugal, sei Penn & Ink N.Y genau deshalb ein Anliegen. „Diese Betriebe sind wirklich wie Familie. Es ist unsere gemeinsame Anstrengung, die Qualität immer noch besser zu machen oder eben Nachhaltigkeit zu forcieren. Wir müssen aber unseren Zulieferern auch Zeit geben, sich in diesen Themen zu professionalisieren. Denn weder unserer Marke noch der Umwelt nützt es, wenn jetzt alle im Hauruckverfahren auf alternative Materialien umstellen, von denen wir noch keine Erfahrungswerte in Sachen Langlebigkeit haben.“ Dass die Nachfrage allerdings auch das Angebot veränderte, stimmt Mark de Lorme optimistisch: „Das ist unser Hebel, auch als kleine Firma. Es bringt Veränderung zum Guten, wenn wir ihn betätigen.“

Auf Punkt produzieren

Slow Fashion ist der Ansatz, mit dem Melanie und Dirk Nienaber mit der Kollektion von Silk Sisters ihren Anspruch an Nachhaltigkeit umsetzen. „Als Familienunternehmen sind wir bestrebt, große Schritte zu gehen und das umzusetzen, was uns möglich ist. Mit Silk Sisters sind wir bereits bei 85 bis 90 Prozent unseres Ziels angekommen. Wir produzieren nur, was durch die Vororder bestellt wurde und das ausschließlich in Betrieben, die fair und sozial arbeiten. Maximal fünf Prozent legen wir als Reserve zurück, um Nachorderwünsche unserer Kunden bedienen zu können. NOS-Lager gibt es bei uns nicht, denn NOS ist das Produkt selbst“, erklärt Dirk Nienaber von der Marlino Group. In der Kollektion Silk Sisters setzt Designerin Melanie Nienaber auf eine straighte modische Aussage mit einer langfristigen Perspektive. „Wir wollen unsere Kunden dahin bringen, sich einen anspruchsvollen und langfristigen Kleiderschrank anzuschaffen, mit Teilen, die gut kombinierbar sind und wo einzelne Highlights Akzente setzen. Wenn wir ein erfolgreiches Design haben, ziehen wir es auch mal mehrere Saisons durch.“ Damit sprechen sich die beiden ganz bewusst gegen das Prinzip des stetig steigenden Überangebots in der Mode aus.

Ein schmaler Grat

Dirk Nienaber ist die Diskrepanz zwischen dem ureigenen Streben eines Unternehmers nach Wachstum und der Vereinbarkeit mit der Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks bewusst. „Das ist ein schwieriges Thema. Natürlich wollen auch wir wachsen, aber in einem für uns und die Umwelt erträglichen Maße. Die Überproduktion in der Mode ist maßlos. Unsere Produktion in Europa erlaubt es uns, flexibel auf die Nachfrage zu reagieren und wirklich nur das herzustellen, was nachgefragt wird, um das Überangebot nicht stetig zu erweitern.“ Bei der Marke Silk Sisters möchte die Marlino Group ihren ökologischen Fußabdruck so minimal wie möglich halten, mit Ansätzen, die weit über das Produkt hinaus gehen. „Meiner Meinung nach wächst der Markt für Slow Fashion, denn das Bewusstsein der Konsumenten steigt,“ ist Melanie Nienaber überzeugt. Ein Gradmesser hierfür ist unter anderem die positive Resonanz auf alle Slow-Fashion-Botschaften der Marke auf Instagram.

Fünf vor zwölf
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Für Silk Sisters beschränkt sich Nachhaltigkeit nicht auf das Produkt, sondern umfasst einen ganzheitlichen Ansatz.

„Nein, meine Uhr ist nicht kaputt, ich habe alle meine Uhren auf fünf vor zwölf gestellt“, sagt Robert Laner, einer der Gründer des nachhaltigen Labels Erdbär. „Ich glaube, das sagt viel über meine Persönlichkeit aus. Wenn wir unsere Mission erfüllt haben, stelle ich meine Uhren vielleicht wieder auf eine andere Zeit.“ Der kaum 30-jährige Unternehmer hat eine klare Roadmap und verfolgt große Ziele. #Worldchanger ist nicht nur Erdbärs Motto, sondern auch einer der bestverkauften Claims auf Erdbär-T-Shirts. Rund 250 Händler in acht Ländern konnte Erdbär bereits überzeugen, zwei eigene Conceptstores, dazu ein reger eigener Onlineverkauf, sie setzen modische Aspekte auch in Unternehmen und deren Bekleidung.

Einer davon im Salzburger Europark, einem frequenzstarken Einkaufszentrum. „Dort können wir Aufklärungsarbeit leisten, es nützt doch nichts, wenn sich all die nachhaltigen Läden in der achtundzwanzigsten Seitengasse links verstecken“, sagt der Unternehmer, der vor der Gründung 2013 übrigens Polizist war. Ob er jetzt der Polizist des nachhaltigen Konsums sei? „Ganz und gar nicht, dieser erhobene Zeigefinger ist das Letzte, was die Menschen brauchen. Nachhaltigkeit muss unkompliziert sein und leicht, sie muss Freude machen und cool sein.“

Mut zur Authentizität
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Darf man als nachhaltiges Label auf der Überholspur fahren? Ja, wenn man damit die Welt ändert, findet Erdbär.

„Es ist wichtig, dass wir den ersten Schritt machen, es geht nicht darum, perfekt zu sein. Ich lebe sicher noch nicht hundertprozentig nachhaltig – das gebe ich auch offen zu. Wer nicht moralisiert oder behauptet, selbst fehlerfrei zu sein, wird auch dann nicht gekreuzigt, wenn er eben doch mal ins Flugzeug steigen muss.“ Diese Authentizität, das könne man sich nur erlauben, wenn die Marken-DNA stark sei.

„Wir müssen ein Ja oder Nein beim Konsumenten auslösen, wer weder Zustimmung noch Ablehnung hervorruft, gibt als Marke keine Orientierung. Aber genau das wünschen sich Endkunden: Dass sie mit ihrem Erdbär-Teil eine Message zum Ausdruck bringen.“ Genau das wünsche er sich auch vom Handel: „Auch der Händler muss klar benennen können, was seine DNA ist. Viele neue, nachhaltige Konzepte können das deshalb gut, weil ihre Mission durch ökologische und soziale Werte definiert ist.“ Worldchanger gibt’s eben nicht nur auf Markenseite. 

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