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Tibi | „Niemand könnte 100 Kinder haben und sie alle gleich lieben“

Tibi | „Niemand könnte 100 Kinder haben und sie alle gleich lieben“

Amy Smilovic
Die New Yorker Kultmarke Tibi von Amy Smilovic hat sich radikal verschlankt. Statt in hunderten Stores vertreten zu sein, setzt die Labelgründerin auf enge Beziehungen zu ihrer Community. Ihre Instagram Stylingclasses sind legendär, mit Book Clubs zu ihrem Stylingbuch „Creative Pragmatist“ besucht sie Händler und macht die Tage dort zu Begegnungen unter Gleichgesinnten. Zuletzt bei The Store by Schneeweiss in Wien – Inhaberin Yasemin Demirci und Amy Smilovic im style in progress Doppelinterview.

Interview: Martina Müllner, Fotos: Tibi, Sergiu Andres Circeag Lieb Ich Productions


Tibi feiert sein 27-jähriges Jubiläum und bleibt dennoch cool und frisch. Wie erhält man die Relevanz und Modernität einer etablierten Marke?

Amy Smilovic, Gründerin Tibi: Weil wir machen, was wir lieben, schaffen wir es, jede Saison einzigartig zu bleiben. Meine Neugier auf alle Dinge zeigt sich in allem, was wir tun. Tibi ist in all den Jahren unabhängig geblieben, ohne externe Investoren, die unsere Entscheidungen diktieren. Das hat uns ermöglicht, Risiken einzugehen und Fehler zu machen, stets mit der Sicherheit, dass sich alle Probleme lösen lassen. Schließlich machen wir immer noch Kleidung und keine Operationen am offenen Herzen.

Es ist schon bemerkenswert, wie die Marke mit ihren Kundinnen verbunden ist. Tibi war von Anfang an eine Community.

Amy Smilovic: Ja, weil wir in unserer Botschaft immer sehr klar waren. Wer ein ähnliches Mindset hat, sich gefunden hat, neugierig ist, gleichzeitig Modernität und Klassik schätzt, der reflektiert auf das, was man in unseren Produkten lesen, sehen und spüren kann. Einen anderen Weg, über so lange mit einer Marke verbunden zu bleiben, sehe ich nicht. Dieses Interesse und diese Interaktion halten wir aufrecht, weil wir ehrlich und wahrhaftig in allem sind, besonders in dem Punkt, wer wir sind. Das fällt mir einfach, denn Tibi ist ja ein Ausdruck dessen, was ich fühle. Viele Menschen sind überrascht, auf welch persönlichem Level wir interagieren und ich werde oft gefragt, ob es mir nicht lästig ist, all diese Unterhaltungen mit Kundinnen zu führen. Aber dieser Dialog mit Kundinnen belastet mich nicht, im Gegenteil, es sind sehr substanzielle Gespräche, oft mit jemandem, den ich noch nie persönlich getroffen habe, aber mich interessiert, wo sie im Leben stehen. Ich lasse mir erzählen, was sie gemacht haben oder was sie gerne lesen, das interessiert mich alles.

Dass Tibi von Frauen für Frauen geschaffen wurde, ist das heute noch ein Faktor?

Amy Smilovic: Nein, denn Männer reflektieren genauso auf die Prinzipien, auf denen Tibi fußt. Aber natürlich ist es ein Vorteil, dass ich hauptsächlich an Frauen verkaufe, weil ich so selbst einschätzen kann, wie sich die Produkte im Alltag beweisen und persönliche Erfahrungen teilen kann. Ich kann über Gefühle sprechen, das Bild malen, wie man mit diesem Kleid im Urlaub ist oder wie sich diese Hose anfühlt, wenn man darin in New York U-Bahn fährt. Ich verstehe meine Kundinnen, weiß, wie wir alle struggeln, unsere Doppelbelastungen aus Job und Familie unter einen Hut zu bekommen, und dass wir trotzdem stilvoll aussehen wollen. Allerdings muss ich hier anmerken, dass ich auch das mit meinem Mann geteilt hab – sowohl die Kinderbetreuung als auch den Wunsch, trotzdem noch ein modisches Wesen zu bleiben.

Wie beschreibt man diesen Stil, für den Tibi steht? Gibt es ein konkretes Wort?

Amy Smilovic: Ich habe den Begriff Ceative Pragmatist geschaffen, weil ich einen Begriff brauchte, der Tiefe vermittelt. In der Mode müssen sich Designer entscheiden, für einen bestimmten Stil zu stehen: contemporary oder sexy, edgy oder bohemian, minimalistisch oder modern. Ich konnte mich nie auf einen festlegen. Ich bin contemporary, ich bin minimalistisch, ich bin etwas feminin und mein Stil ist auch unkonventionell. Einkäufer sagten mir immer wieder: Finde heraus, wer du bist und komm dann wieder. Das fand ich unglaublich frustrierend. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich ein beschreibendes Wort brauche, damit diese Buyer mich verstehen können. Da habe ich dem Stil einen Namen gegeben: Creative Pragmatist bringt beides auf den Punkt, das Kreative und das Pragmatische.

„Creative Pragmatist“ ist auch der Titel Ihres Buches, das starke Nachfrage erlebt. Warum passt es so gut in unsere Zeit?

Amy Smilovic: Viele Frauen haben ihren eigenen Stil noch nicht gefunden. Während der Pandemie haben wir begonnen, in den Instagram-Storys Styling Classes zu machen, die meinen Stil herunterbrechen. Dass es Storys waren, hat viel in meinem Kopf gemacht, denn eine Geschichte braucht ja einen Anfang, einen Hauptteil und einen Schluss. Plötzlich ist man gezwungen, kohärent und klar zu erzählen. Also fing ich an, all das zu erzählen, was Traci und ich uns denken, wenn wir designen. In diesem Prozess ist mir aufgefallen, dass das ja die Teile nicht nur anpreist, sondern all das, was ihnen innewohnt, dass es hervorragend erklärt und eine Erklärung liefert, warum wir etwas so machen. In diesem Denken ist auch das Buch entstanden: Ich wollte, dass es wie ein Kochbuch ist, ein Leitfaden. Beim Kochen muss man sich nicht immer peinlich genau an das Rezept halten, schließlich ist es am Ende nur wichtig, dass es schmeckt – und Geschmack ist subjektiv. Aber wenn es nicht gut schmeckt, dann wird das Rezept plötzlich wichtig, denn dann kann man nachsehen und feststellen: Oh, das habe ich falsch gemacht, deshalb schmeckt es nicht. Ich sage immer zu meinen Kundinnen: Schreibt mir keine DMs, in denen ihr mich fragt, ob ein Outfit richtig oder falsch ist. Sagt mir stattdessen, welches Gefühl ihr habt, warum ihr glaubt, dass ihr Hilfe bei diesem Outfit braucht, dann verstehe ich ganz schnell, was ich ändern muss. Diese Perspektive ist so wichtig: Warum fühlt es sich für jemanden richtig oder falsch an, ohne diese Information mag ich keine Urteile treffen, weil Stil ja subjektiv ist.

Welche Rolle haben in dieser Verbindung zwischen Marke und Kundinnen Einzelhändlerinnen wie Yasemin? Denn die starke eigene Präsenz und Community würde es ja auch möglich machen, direkt an die Kundinnen zu verkaufen?

Amy Smilovic: Einer der wichtigsten Aspekte ist, dass ich will, dass man Tibi als menschlich wahrnimmt. Allerdings kann ich meine Menschlichkeit nur bedingt ausdrücken, wenn ich über Instagram kommuniziere. Daher ist es für mich unglaublich wichtig, dass es vor Ort Menschen gibt, die direkt mit unseren Kundinnen interagieren, dass es eben keine Maschine ist, mit der sie sprechen. Erfahrungen, und zwar die persönlichen, sind so wichtig. Die sozialen Medien waren eine Zeit lang voller Erfahrungen, nicht wahr? Die Menschen wollten plötzlich keine Dinge mehr sammeln, sondern Momente. Übersetzt man das auf die Beziehung zwischen Marke und Kunden, ist so klar, warum wir Händlerinnen wie Yasemin brauchen.

Yasemin Demirci, Inhaberin The Store by Schneeweiss: Um etwas Echtes zu erleben, statt nur etwas zu konsumieren.

Amy Smilovic: Was mich gerade am meisten bewegt, ist, dass die Kunst der Unterhaltung ein solches Comeback erlebt – und solche Unterhaltungen gibt es nun mal nur im echten Leben. Gespräche mit Menschen zu führen, die unterschiedliche Meinungen vertreten, kann so belebend sein und lässt einen mit anderen Augen auf die Welt blicken. Wir sollten diese Konfrontation richtiggehend suchen, gerade in so vermeintlich oberflächlichen Dingen wie der Mode. Denn ein Gespräch, das über einen Stoff oder wie ein Teil sitzt, beginnt, endet oft in etwas ganz anderem: Vom eigenen Stil ausgehend kommt man plötzlich darauf, wie man neue Freunde findet, oder auf irgendein anderes Thema, das im Diskurs befruchtend sein kann. Deshalb sind Räume wie The Store by Schneeweiss so wichtig, weil sie den Rahmen bieten, in dem die Menschen diese Gespräche führen, ganz nebenbei beim Anprobieren – so enorm wertvoll.

Das setzt eine sehr enge Beziehung zu den Händlern voraus.

Amy Smilovic: Ja, lustigerweise sind mir vor ein paar Tagen alte Businesspläne in die Hände gefallen, in denen festgelegt war, wie viele Läden wir in einem bestimmten Umkreis haben wollen. Das ist so outdated. Wir beliefern einen Store in Wien, einen in Mailand. Vor kurzem noch sagte ein Einzelhandelskunde aus Rom zu mir, dass ich endlich einen italienischen Showroom haben sollte, weil ich massenhaft Händler in Italien haben könnte. Aber das will ich gar nicht, ich will den Überblick behalten.

Yasemin Demirci: Ja, und es geht nicht mehr darum, ob wir die richtige Kundin für die Marke mitbringen, es geht darum, dass wir den gleichen Vibe haben.

Amy Smilovic: Ich will mir sicher sein, dass meine Tibi-Kundinnen hier in guten Händen sind, wenn sie etwas anprobieren oder mehr über die Marke wissen wollen. Hier kann ich guten Gewissens sagen: Yasemin wird sich fantastisch um dich kümmern, du wirst sie lieben.

Wie wichtig ist es darüber hinaus, dass Tibi in einem Multibrand-Umfeld präsentiert wird?

Amy Smilovic: Nicht mal ich selbst trage Tibi von Kopf bis Fuß. Das ist doch ermüdend, ich liebe es, die Dinge zu mixen. Auch in unserem Laden in New York halten wir das so: Nur mit unserer eigenen Marke könnten unsere Leute doch gar nicht ihre Persönlichkeit ausdrücken.

Mir stellt sich die Frage: Wenn man eine so enge Beziehung zu seinen Marken pflegen will, wie das zwischen Tibi und The Store by Schneeweiss der Fall ist, heißt das nicht im Umkehrschluss, dass man aufhören muss, Marken zu sammeln? Das kann man doch nicht mit 120 Marken so intensiv pflegen.

Yasmin Demirci: Absolut! Ich hatte in der Vergangenheit viel mehr Marken und ich fand es manchmal wirklich herausfordernd, all diese kleinen Marken zu managen, und zwar nicht nur aus Budgetsicht. Mit so vielen Brands ist es schwierig, ein Bild davon im Kopf zu schaffen, wie der Laden dann aussehen soll. Für mich war die Antwort, dass ich mich auf wenige Marken konzentriere. Ich suche heute nach dem Gefühl, nach dem Spirit, den Marken wie Tibi vermitteln. Und den auf meine Kundinnen zu übertragen, fällt leichter, wenn man sich beschränkt. Und um ehrlich zu sein, ist es auch die einzige Möglichkeit, wie wir es schaffen, diese Welt mit weniger überflüssigen Klamotten zu belasten. Da fließt eine Überlegung in die andere.

Ich liebe das so sehr, weil es wirklich darum geht, Werte zu teilen statt Marken zu sammeln. Gemeinsame Werte sollten der nächste Megatrend beim Einkaufen sein. Und nochmal: Man kann nicht die Werte von 100 Marken teilen.

Amy Smilovic: Genau, das ist Fake, allein der Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Niemand könnte 100 Kinder haben und sie alle gleich lieben.

In der Wiener Alba Gallery lud die Inhaberin von The Store by Schneeweiss Yasemin Demirci zum Book Club mit Tibi-Gründerin Amy Smilovic – Kundinnen und Fans aus ganz Europa reisten an, um die Gründerin des Labels live zu erleben.

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