Now Reading
Reparaturen, Resteverwertung, Redesign | Raus aus der Einwegfalle – so reparieren wir die Modebranche

Reparaturen, Resteverwertung, Redesign | Raus aus der Einwegfalle – so reparieren wir die Modebranche

Die Entwicklung zur Wegwerfmode war das Schlimmste, was der Branche passieren konnte.

Nicht nur mit Blick auf Arbeitsbedingungen und Klimabilanz, sondern auch auf das Geschäft: Die Folge der Alles-immer-und-überall-Idee sind Berge von Kleidern, die sich nicht einmal von der Sale-Stange verkaufen lassen. Mehrfachverwertung ist der Ausweg: von Resale bis Verleih, von Deadstock-Design bis Änderungsservice. Dazu muss Kleidung aber etwas aushalten – und sich richtig schön zusammenflicken lassen. Sind Reparaturen eine Goldgrube? Acht Denkanstöße.

Text: Petrina Engelke. Fotos: Gesprächspartner

Schön zusammenflicken: Schöpfergeist trifft Zahlenfuchs

Bei Luxusmarken gehören Reparaturen zum Service, aber niemand macht darum ein Gewese. Ein Denkmal bauen wir dem Designer und nicht den Handwerkerinnen, die Paspeln nähen, Blüten sticken und Zöpfe stricken. Oder? Von einem Sinneswandel künden Hashtags wie #visiblemending, #sashiko, #refashionista. In New York kehrt das bunte Atelier Eva Joan den Muff aus der Änderungsschneiderei, in Hamburg zeigt die Kunststopferei Konfekt, dass Design und Handwerk oft nur Willkür trennt. Gleichzeitig treibt eine nüchterne Rechnung die Luxusflickerei voran: Trends kommen und gehen; Motten und Missgeschicke folgen jeder Saison. 28.000 Reparaturen verbuchte die britische Handelskette Selfridges im Jahr 2021 – ein Fliegenschiss zu den Unternehmenszielen bis 2030. 45 Prozent der Kundschaft sollen wegen Secondhand, Reparaturen, Kleiderverleih oder Kosmetik-Nachfüllservice zu Selfridges kommen. Noch beruhen dort weniger als ein Prozent der Transaktionen auf Kreislaufwirtschaft.

Kosten sparen: von wegen totes Inventar!

Hinter Kreislaufmodellen steckt nicht nur Klimabewusstsein. Tiktok-Unternehmer kaufen den Secondhandmarkt kahl, weil sie mit Luxus-Vintage-Drops reich werden wollen. Modefirmen hechten mit Resale-Konzepten hinterher – und entdecken in ihren Lagern weitere Chancen. Statt unverkaufte Kleider als Verlust abzuschreiben, nutzen sie sie als Rohstoff. Deadstock aus dem Lager von Browns zerlegte und vermählte der niederländische Designer Duran Lantink schon 2019, etwa mit einem Mantel aus Dries van Noten und Remaine. Das wirft markenrechtliche Fragen auf, spart aber Geld und CO2-Emissionen ohne einen radikalen Schnitt – schließlich geht es weiterhin um den Verkauf von Mode. Ein Laden erschließt zudem neue Kundenkreise, wenn wechselnde Designer totes Inventar umgestalten. Allerdings erfordert dieser Ansatz viel Organisation und nicht jeder Ort bietet reichlich Modehandwerk.

Retourkutsche für Retouren: die kreative Kraft

Dass Kunden alles mögliche wieder zurückbringen oder -schicken, sorgt im Handel für einen Logistik-Albtraum. Ein Gegenmittel ist das Angebot, die Kleider zu verbessern. Die Visible Mending-Influencerin Kate Sekules sieht Kleiderreparaturen sogar als Co-Design, und das funktioniert auch im Laden: Gemeinsam entwerfen Belegschaft und Kundschaft die Zukunft eines Kleidungsstücks – von der Farbe der neuen Knöpfe bis zum Rock, der einmal eine Jacke war. Mit dieser Haltung – und Story – wird der Reparatur- und Änderungsservice zur kreativen Kraft im Handel.

Laufkundschaft gewinnen: Servicewüste war gestern

Auch Verschleiß treibt die Nachfrage. Nudie Jeans haben 2021 in hauseigenen Schneidereien 42.500 Jeans geflickt. Die Marke bietet den Service kostenlos für alle ihre Jeans, egal, wo sie gekauft wurden. Dabei arbeitet Nudie auch mit Repair Stations in Läden wie Glore in Stuttgart und Regensburg. „Kunden kommen zur Nutzung des Services wieder in den Laden oder entdecken uns dadurch erst“, sagt Glore-Inhaberin Nicola Haug über die Vorteile. Auch Partnerschaften mit Reparatur-Start-ups mehren sich, etwa The Seam und Net-a-Porter, Repair Rebels und Hess Natur, Sojo und Ganni. Aus Kundensicht bleibt dennoch eine Hürde: Bislang beschränkt die Modebranche Reparaturangebote auf die eigene Marke oder die im eigenen Laden gekauften Kleider.

Gefühle einspannen: lauter Lieblingsteile

So viel Mühe fließt bei Herstellern und Läden ins Storytelling, jede Kollektion begleitet die Suche nach Content. Gute Geschichten bringen alte Klamotten selbst mit, vor allem, wenn sie kaputt sind. „Kleidung ist Teil unserer Identität“, sagt Monika Hauck, Gründerin des Düsseldorfer Start-ups Repair Rebels. „Und was man wirklich liebt, will man bewahren.“ Deshalb lässt sich aus dem Angebot, Kratzer von den Lieblingsschuhen zu schleifen oder neue Bündchen an den Wohlfühl-Cardigan zu stricken, Marketingkapital schlagen. Umgekehrt senden solche Aufträge ein Signal an Hersteller: Dieses Produkt ist es wert, repariert zu werden. „Vieles ist für Reparaturen aber gar nicht vorgesehen“, sagt Hauck. Besonders Sneaker seien wegen der Vielzahl unterschiedlicher Teile, Stoffe und Klebstoffe schwer auszubessern. „Luxuswaren sind natürlich einfacher zu reparieren.“ Deren Produktion achte schließlich auf langlebiges Material und ersetzbare Teile.

Rahmen wechseln: Kleidung als Investment

Eine auf Langlebigkeit ausgerichtete Produktentwicklung trifft nicht nur Nachhaltigkeitsgrundsätze, sondern schafft auch die Voraussetzung für Wachstum: Weiterverkauf. Der Secondhandmarkt soll in den kommenden Jahren schneller wachsen als Fast Fashion. So wird Kleidung zum Investment, das alles meidet, was ausleiert, einläuft, schwer zu flicken ist. Doch nur wer als Hersteller davon erfährt, dass – und wo – seine Leggings am Innensaum zerfasern, kann seine Ware verbessern. „Wir können Marken den Reparaturbedarf dessen zeigen, was sie herstellen, damit sie besser über die Langlebigkeit ihrer Produkte Bescheid wissen“, sagt Layla Sargent über die Datenerfassung beim Londoner Reparaturservice The Seam. Digital lassen sich viele Probleme lösen; ein Mottenloch gehört nicht dazu. Umso erstaunlicher, dass der stationäre Handel sich das Geschäft mit Reparaturen noch nicht einverleibt hat.

Zeit gewinnen: vor der (politischen) Welle

Viele Länder in Europa beginnen damit, ein Recht auf Reparatur umzusetzen. Bei den Küchengeräten wird sich wohl zuerst zeigen, wie stark der Handel dabei in die Pflicht genommen wird. Reparaturansprüchen kann die Modebranche jetzt schon Erfindergeist gegenüberstellen, nicht nur beim Produktions- und Reparaturdesign, sondern auch beim Geschäftsmodell. Die Fast-Fashion-Konkurrenz schläft nicht. H&M testet in Amsterdam ein Repair & Remake Atelier, Uniqlo weitet in den USA gerade sein Angebot aus, sich für fünf Dollar einen Knopf annähen oder einen Riss flicken zu lassen.

Geschäft aufbauen: das fertige Kleid als Ausgangspunkt

Bleibt die Frage, wer das eigentlich alles reparieren soll und wie weit kaputte Kleider reisen sollen. Flicken könnten theoretisch die Menschen, die derzeit in Südostasien massenhaft Mode nähen – aber mit Blick auf Logistik, Transportkosten und Umweltbelastung ergibt das keinen Sinn. In Europa konkurrieren Reparatur-Start-ups, Läden und Marken um Fachkräfte aus kleinen Werkstätten, und ihr Erfolg hängt an Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Die Frage der Sozialverträglichkeit begleitet Reparaturen von der Nische in den Massenmarkt – bis hin zur Preisgestaltung. Wenn Modefirmen auf Langlebigkeit umsatteln, gibt es also noch viel zu stopfen, schustern, komplett auseinanderzunehmen. Nur eins steht fest: Ein cleveres Geschäftsmodell endet nicht mit dem fertigen Kleid.

View Comments (0)

Leave a Reply

Scroll To Top