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Kerry Murphy/The Fabricant | Losgelöst von der Physis

Kerry Murphy/The Fabricant | Losgelöst von der Physis

Wann beginnt ein Produkt zu existieren? Auf dem Papier, als virtuelles dreidimensionales Rendering oder sobald es haptisch erfassbar ist? Kerry Murphy ist auf diesem Gebiet Pionier: Er will die gesamte Denkweise von Mode verändern, sie nachhaltiger machen und Kreativität von physischen Gesetzmäßigkeiten lösen.

Text: Isabel Faiss. Fotos: The Fabricant

Fashionauts sagen sie im Team zueinander. Mit seinem 2018 in Amsterdam gegründeten Unternehmen The Fabricant erforscht der gelernte Filmemacher und Experte für Virtual Effects die Möglichkeiten digitalen Designs und kreiert virtuelle Mode, die es physisch nie geben wird. Dass der Markt dafür besteht und schnell wächst, sagt ihm keine Glaskugel, sondern die Nachfrage. Es ist ein Zukunftsmarkt

Die Digitalisierung eröffnet der gesamten Branche unzählige Möglichkeiten und grenzenlose Flexibilität, davon ist Kerry Murphy überzeugt. Seine Analyse des Status quo macht Sinn: Immer mehr Menschen pflegen ein digitales Alter Ego. Und Selbstdarstellung funktioniert eben nicht nur analog, vor allem für junge Menschen verlagert sie sich zunehmend ins Digitale. Für diese Zielgruppe gibt es laut Kerry Murphy kaum noch eine Divergenz zwischen digitaler und analoger Welt. Virtuelles 3D-Design ermöglicht den Digi-Sapiens, ihre Mode aktiv mitzugestalten. Digitaler Mode sind keine Grenzen durch Materialien, Dimensionen, Saisons, Trends, Passformen oder Preise gesetzt. Das klingt nach dem, was Mode ursprünglich mal war: einem unermesslich großen Raum zum Ausprobieren, Inszenieren und Konsumieren.

Digital-Fashion-Designerin Amber Jae Sloten designte für The Fabricant die Deep Digital Collection, die als erste rein virtuelle Modenschau in diesem Frühling auf vier Veranstaltungen lief.
 

Kerry, verraten Sie uns Ihren Business Case. Wie verdient man mit Mode, die es nur virtuell gibt, Geld?

Eine gute Frage und eine vielschichtige Antwort. Wir haben vier verschiedene Geschäftszweige definiert, wo wir mit Unternehmen zusammenarbeiten. Zum einen ist das die Digitalisierung des Designprozesses in Form von virtuellen 3D-Samples, Lookbooks und digitalen Showrooms. Wir können den gesamten Kollektionsentstehungsprozess begleiten und optimieren. Zum anderen kreieren wir digitalen Content, ebenso wie Marketing- und Anzeigenkampagnen, zuletzt mit Marken wie Puma oder Off White. Das sind die Sparten, in denen sich kommerziell Umsatz machen lässt. Unser vierter Bereich ist der experimentellste, hier geht es um Designs, die es physisch nie geben wird. Wir kreieren ein interaktives Erlebnis und bringen dabei Technologien wie Virtual Reality und Augmented Reality mit ins Spiel. Für viele ist das noch ein völliges Mysterium, wir sind mit dem Thema in einer sehr frühen Phase der Akzeptanz. Ich sehe aber enormes Potenzial, nicht zuletzt für Webstores, Social-Media-Plattformen und die Gaming-Szene. Es sind keine Grenzen gesetzt.

Ein Mysterium ist doch auch, für etwas zu bezahlen, das es faktisch nicht gibt, oder?

Wir experimentieren momentan mit Digital-only-Fashion zwischen einem und 10.000 US-Dollar. Das ist noch in einem so frühen Stadium, dass wir dazu kaum Referenzen hinsichtlich der Preisakzeptanz haben. Sicher ist aber, Virtual Fashion sprengt die Grenzen des physischen Besitzes. Das ist für eine wachsende Zahl von Konsumenten ein nennenswerter Mehrwert, für den sie auch bereit sind, Geld zu zahlen. Außerdem löst das ein Problem, das in dieser Zielgruppe große Akzeptanz hat: Sie schont die natürlichen Ressourcen und verursacht keinen Müll. Ein gutes Beispiel: Wenn sich ein Influencer Designerkleidung online ordert, um darin einen Post für Instagram zu generieren und sie anschließend zurücksendet, ist das ein ökonomisches und ökologisches Desaster. Virtuell lässt sich dieses Bedürfnis aber umsetzen.

2018 bespielten Sie vier temporäre Pop-up-Stores in Hongkong, Peking, Schanghai und Paris – ein Pilotprojekt als Game-Changer für den Modehandel?

Das war ein fantastisches Projekt in Zusammenarbeit mit dem Luxusretailer I.T aus Hongkong zum 30-jährigen Firmenjubiläum. Wir haben die Jubiläumskollektion virtualisiert und einen Pop-up-Store ohne physische Ware kreiert, der einen Imagefilm und alle einzelnen Teile der Kollektion als animierte dreidimensionale Ansicht zeigte. Auf großen, viereckigen Säulen mit Screens lief die Kollektion mit Designs von unter anderem Helmut Lang, Alexander McQueen oder Marques Almeida. Erst nach der Bestellung wurde physisch produziert. Wir waren 2018 zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit dem Thema auf der Fläche, trotzdem war es ein großer Erfolg, weil es gezeigt hat, was mit Digital Fashion alles möglich ist.

www.thefabricant.com

Wenn die Grenzen zwischen analog und digital verschwimmen, entstehen neue Möglichkeiten, von denen alle profitieren: der Kunde, die Industrie und die Natur.

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