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Mittendrin statt nur dabei

Mittendrin statt nur dabei

Eine neue Generation Arbeitnehmer stellt andere Forderungen an ihre Dienstherren – wichtiger als Lohn und Titel sind Benefits und Mitbestimmung. Der Modefachhandel bietet genau dazu die Chance. style in progress hat Händler um ihre Erfolgsbeispiele gebeten. 

Text: Martina Müllner-Seybold, Kay Alexander Plonka, Nicoletta Schaper, Joachim Schirrmacher. Fotos: Gesprächspartner und Stores

Soto Store/Berlin

Do it yourself
Lars Holzbrecher ist Operations Manager bei Soto Store in Berlin. Den Umbau des Ladens managte er gemeinsam mit seinen Kollegen.

„Beim Umbau haben alle Mitarbeiter die Handwerker tatkräftig unterstützt. Ein bisschen fühlte es sich so an, als würde eine WG ihr neues Zuhause erschaffen“, lacht Lars Holzbrecher, Operations Manager bei Soto Store. Gemeinsam mit dem niederländischen Designer Johannes Offerhaus erarbeitete er ein vollkommen neues Einkaufserlebnis für den Laden. Offerhaus gestaltete alle Elemente wie Möbel, Warenträger und Beleuchtungssysteme, die dann von befreundeten Bootsbauern und benachbarten Messebauern angefertigt wurden.

Auf einer Verkaufsfläche von rund 100 Quadratmeter werden die Sinne der Kunden durch langsame Farbwechsel der Beleuchtung und durch Bewegung in der Präsentation angesprochen. Zu den Highlights zählt eine rotierende Schuhwand, die Platz für 240 Modelle bietet und dem Kunden die Möglichkeit gibt, die Schuhe von verschiedenen Marken vertikal an sich vorbeiziehen zu lassen. Kegelförmige Möbel, unterschiedliche Regale und individuell angefertigte Displays zeigen Marken wie Acne Studios, Marni, OAMC, Our Legacy, Undercover und viele andere. Kunstwerke von mehreren Berliner Künstlern, wie derzeit Annabell Häfner und Johannes Bosisio, runden die Inszenierung der differenzierten Kundenansprache des neuen Laden ab.

„Mit einem Klick können wir den Store vom Tag- in den Nachtmodus und damit zu einer völlig unterschiedlichen Customer Experience umschalten. Die transformative Beleuchtungsanlage unseres Lichtdesigners Stefan Damnig bietet unterschiedliche Farbthemen und -stimmungen, um die einzelnen Teile verschiedener Marken, Events oder Produktpräsentationen lichttechnisch zu begleiten“, erklärt Lars Holzbrecher.

Strolz/Lech am Arlberg

Teamgeist

Wer erst spät im Winter öffnet und nur bis Ostern Saison hat, den stellt die Personalfrage vor besondere Herausforderungen. Strolz beweist, dass auch diese zu meistern sind.

Ambros Strolz setzt auf eine bewusst lockere Atmosphäre.

Ambros Strolz, Geschäftsführer Strolz in Lech: „Die jungen Leute kommen gern zu uns, weil sie den Job bei Strolz mit dem Skifahren verbinden können. Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Saison und die Atmosphäre in unserem Haus ist bewusst weniger restriktiv als anderswo. Teamgeist ist uns am wichtigsten, weshalb es auch keine Einzelprämien gibt: Wir wollen keine Verkaufshyänen! Dazu gehört, dass wir eine gescheite Unterkunft stellen, für die Mitarbeiter immer Äpfel und frischer Kaffee bereitstehen oder dass es Essensmarken fürs Restaurant gibt. Der Ton macht die Musik! Ein freundschaftliches Miteinander gefällt auch unseren vier Lehrlingen, selbst wenn es für manchen erst einmal ein böses Erwachen bedeutet, dass neben der anstrengenden Saisonarbeit nicht viel Freizeit bleibt. Ich bekomme jedoch oft die Rückmeldung, dass unseren Mitarbeitern die Atmosphäre im Haus wichtiger ist als oftmals das Gehalt. Dafür spricht, dass jedes Jahr 80 Prozent von ihnen zu uns zurückkehren, was viel ist für einen Saisonbetrieb.“

Das nette Miteinander bei Strolz trägt für die Kunden zum Urlaubsgefühl bei.

L&T/Osnabrück

Das Gaspedal durchtreten 
Daniel Wessel will dem Nachwuchs Flexibilität und Kommunikation lehren.

Daniel Wessel, Personalleiter L&T: „Im Modeeinzelhandel ist hohe Flexibilität nötig, die wir bei uns besonders fördern. Ein guter Modeberater muss im Gespräch mit einem Kunden gleich eine Verbindung aufbauen, die Größe und den Kleidungsstil lesen. Was ist ihm wichtig, worauf achtet er? Ist der Kunde schüchtern und muss der Berater sein Vertrauen gewinnen, oder wie reagiert man, wenn er bestimmend ist? Neben den klassischen Tugenden lehren wir die Kommunikation auch im Spontaneitätstraining, denn die Whatsapp-Generation erzählt nicht unbedingt ausschmückend. Darüber hinaus wechseln unsere Lehrlinge halbjährlich in ein anderes Warensortiment, vom Sporthaus bis in die Damenabteilung. Um unsere Auszubildenden zu halten, ist es wichtig, sie aktiv zu beteiligen. Deshalb erarbeiten sie jetzt vermehrt kleine Projekte, zum Beispiel, wie wir unsere Clubkundendatei erweitern können. Dabei kommen spannende Lösungen heraus! Für diejenigen, die bei uns Teamleiter werden wollen, finanzieren wir die einjährige Ausbildung zum Bekleidungsfachwirt/Sportfachwirt an der LDT Nagold. Insgesamt haben wir gelernt, unsere Azubis strikt zu begleiten und eine gegenseitige Feedback-Kultur aufzubauen. Mit tollen Ergebnissen: Wenn die Azubis das Gaspedal gefunden haben, treten sie es auch durch.“

Ein starkes Team: die Mitarbeiter von L&T.

Kastner & Öhler/Graz

Freiheit geben
Kastner & Öhler bildet jährlich über 30 Lehrlinge für den Verkaufsberuf aus.
Alexander Petrskovsky möchte den Azubis das Umfeld für die beste Entwicklung bieten.

Alexander Petrskovsky, Vorstand Kastner & Öhler: „Wir setzen stark auf unsere Lehrlinge! Deshalb bilden wir sie intensiv aus, mit viel Persönlichkeitsentwicklung. Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren haben oft keine geeigneten Ansprechpartner, sie finden vielleicht die Eltern blöd, die Kirche sowieso, und auch die Geschwister sind null interessant. Wir haben die Aufgabe, die Auszubildenden auch charakterlich zu bilden und erwarten von unseren Führungskräften, dass sie das richtige Umfeld für diese Entwicklung schaffen und verstehen, wie groß ihr Einfluss auf die Leistung der Azubis ist. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Mitarbeiter an die richtige Stelle zu setzen. Wir erleben oft, dass so aus durchschnittlichen Mitarbeitern Topverkäufer werden können! Außerdem ermutigen wir sie, im Verkaufsgespräch etwas abseits vom Schema F auszuprobieren. Klasse, wenn es dann zum Kunden und zur Situation passt! Unsere Verkäufer spüren, dass sie einen wesentlichen Beitrag zu unserem Erfolg leisten. Deshalb haben wir auch vor vier Jahren die Prämie eingeführt und machen seitdem positive Erfahrungen damit. Unsere Topverkäufer ziehen viel Motivation daraus.“

Mode Walser/Hohenems

Frauenpower zeigen
Stefanie Walser, Inhaberin von Mode Walser in Hohenems weiß, welcher Schatz ihre Mitarbeiterinnen sind.

Stefanie Walser, Inhaberin Mode Walser Hohenems: „Wir feiern dieses Jahr unser 100jähriges Bestehen – und haben uns im Zuge dessen zu einer ganz besonderen Kampagne entschlossen. Diese zeigt meine Mutter und mich im Kreis unserer Mitarbeiterinnen. Es war eine tolle und intensive Erfahrung für uns alle, dieses Shooting zu machen. Wir haben vier Motive geschossen, immer in jahreszeitlich und farblich abgestimmten Outfits. Die Fotografin ist extra aus Wien angereist, wir haben einen professionellen Stylisten engagiert, für unsere Mitarbeiterinnen und uns war der ganze Aufwand hinter einem solchen Shooting neu. Das Ergebnis aber zeigt, dass es sich gelohnt hat! Ich bin stolz auf diesen Teamgeist und die geballte Frauenpower, die man auf den Bildern förmlich spürt. Wir haben das große Glück, dass wir viele langjährige Mitarbeiterinnen haben. Sie kennen und pflegen ihre Kundinnen, wir wissen, welcher Schatz diese Frauen sind. Das in unserer Kampagne sichtbar zu machen, war uns ein großes Anliegen. Wir machen uns intensiv Gedanken, wie wir die Bedingungen so gestalten können, dass Mitarbeiterinnen lange bleiben. Denn neue Mitarbeiterinnen zu finden, ist eine echte Herausforderung – besonders, wenn man schon so tolle hat, die natürlich den Standard definieren!“

Die Frauenpower bei Mode Walser sichtbar machen: Die Jubiläumskampagne des Stores in Hohenems zeigt das gesamte Verkaufsteam von Stefanie (3.v.l.) und Inge Walser (5.v.l.).

Diptyque/Berlin

Der Kunde als Gast
Selten in der Welt globaler Marken: Bei Dyptique steht der Kunde an allererster Stelle.

Inès de la Fressange, Tom Ford, Rick Owens oder Donatella Versace machten Diptyque zur „Referenz für Duftkerzen“, wie Guilhem Rousseau von der Manufaktur Française de Bougies dem Le Figaro sagte. Er produziert, wie auch sein Mitbewerber Hypsipyle, die Kerzen für Diptyque. Im kleinen Geschäft am Berliner Kurfürstendamm beeindruckt nicht nur das Art-Deco-Interieur, sondern vor allem die Mitarbeiter: persönlich, unaufdringlich, im Detail kompetent. „Wir haben von den Gründern gelernt, die Kunden als Gast zu empfangen und ihnen die Geschichte von Diptyque zu vermitteln. Wenn sie am Ende nichts kaufen möchten, ist das Wichtigste die Beziehung aufrecht zu erhalten. Eines Tages werden sie wiederkommen“, sagt Fabienne Mauny, die 20 Jahre für Yves Saint Laurent arbeitete und seit 2007 das Unternehmen führt, nachdem William Fisher, Sohn der Gründer und heutige Direktor des Modekonzerns GAPDiptyque übernahm. Die Sehnsucht nach dem Besonderen und Echten lässt Nischenmarken wie Diptyque boomen. In den Büros arbeiten weltweit 150 Personen, davon 70 im Pariser Headquarter. „Wir wachsen seit vielen Jahren um 20 bis 25 Prozent pro Jahr“, sagt Mauny. Laut dem US-Fachmagazin WWD machte Diptyque 2006 einen Umsatz von zehn Millionen US-Dollar. Bis heute stieg der Umsatz nach Branchenschätzung auf rund 80 Millionen Euro.

Den Kunden als Gast sehen – der auch mal nur zum Staunen kommen darf: die Philosophie bei Diptyque.
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