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Digitalisierung | „Jeff, was hinterlässt du der Menschheit?“

Digitalisierung | „Jeff, was hinterlässt du der Menschheit?“

Das Bild, das Brunello Cucinelli von sich zeichnet, ist eine wohl kuratierte Digitalisierungs-Antithese. Doch selbstverständlich lässt die größte Revolution unserer Zeit auch den humanistischen Unternehmer aus Umbrien nicht kalt.

Im Gegenteil: Im Gespräch mit Stephan Huber anlässlich der Shoperöffnung bei Sagmeister in Lech erzählt der amtierende Cashmere-König, wie er vor Führungskräften im Silicon Valley für eine menschliche Seite der Onlinewelt plädiert und welche Fragen er Amazon-Gründer Jeff Bezos mit auf den Weg gibt.

Interview: Stephan Huber. Fotos: Brunello Cucinelli

Hand aufs Herz, Herr Cuccinelli – wie oft checken Sie eigentlich täglich den Aktienkurs?

Ich habe keine Apps oder so etwas am Handy, mit denen ich den Kurs dauernd im Blick habe. Also werfe ich morgens, wenn ich in die Firma komme, einen Blick darauf, mittags wenn ich zum Essen gehe und um 16.00 Uhr, wenn die amerikanische Börse öffnet.

Zufrieden mit dem, was Sie sehen?

Ausgesprochen zufrieden, ja. Ich bin stolz darauf, dass wir geschafft haben und was ich unseren Investoren von Anfang an klargemacht habe: Ich will Wachstum mit Würde. Das, was wir heute als Unternehmen sind, möchte ich auch noch die nächsten 200 Jahre bleiben – und das bedingt, dass ich Wachstum eben nicht innerhalb von zehn Jahren herausquetschen kann, das geht vielleicht bei einem industriellen Produkt, aber nicht bei uns. In den sieben Jahren seit Börsengang haben wir unsere Absatzzahlen verdoppelt, darauf bin ich sehr stolz, aber unsere Perspektive muss die eines langfristigen Wachstums sein. Das haben wir so auch in unserem aktuellen Zehnjahresplan festgelegt.

Mit ein paar Cashmere-Pullis haben Sie begonnen, jetzt führen Sie eine globale Luxusmarke, die es trotz des IPOs geschafft hat, das Image eines Familienunternehmens zu haben.

Wie wahrscheinlich jeder italienische Unternehmer, wahrscheinlich, weil wir so manuell arbeiten, träume ich den Traum, dass meine Firma auch in hundert Jahren noch da ist. Für meine Kinder, für meine Enkel. Das ist das komplette Gegenteil zu meinen Freunden im Silicon Valley: Es ist eine andere Kultur, eine Firma hochzupushen, den Profit zu maximieren und vielleicht irgendwann zu entscheiden, dass man sie verkauft. Das ist eine komplett andere Herangehensweise, viel stärker finanziell orientiert.

Weil sie kein physiches Produkt haben?

Nun, ich bin exakt dort in Solomeo gehoren. Genau wie mein Großvater, genau wie mein Vater, unser Dorf datiert ins 14. Jahrhundert zurück. Das ist auch der Grund, warum ich eine Art Beschützer oder Bewahrer des Dorfes sein will. Meine Rolle ist, zu restaurieren und an die nächste Generation zu übergeben. Da bin ich aus einem völlig anderen Holz geschnitzt als manch moderner Unternehmer. Klar muss meine Firma profitabel sein und auch wachsen, aber das Wachstum muss gerecht sein. Das faire Wachstum steht an allererster Stelle. Es ist mein Wunsch, dass unsere Firma der Menschheit nichts zu Leide tut.

Ignorieren Sie Übernahmeangebote eigentlich komplett?

Wir bekommen viele, das geht relativ natürlich mit der globalen Bekanntheit der Marke einher. Weil sie immer sehr ernsthaft sind, muss man sie auch ernst nehmen. Aber sie sind nicht in meinem Fokus, das ist richtig. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, ist mir am allerwichtigsten, dass wir ein modernes, zeitgemäßes Produkt haben – alles andere ist nachgereiht.

Die ganze Branche redet über Digitalisierung. Wie geht ein Unternehmen wie Ihres, das so stark auf Handwerk baut, damit um?

Für mich ist wichtig, dass wir konsistent sind. Dass die Experience im Brunello Cucinelli Onlineshop nahtlos an das anschließt, was Sie physisch erleben.

War das schwierig umzusetzen?

Nein, denn am Ende geht es ja um die Einstellung, mit der man der Onlinewelt begegnet. Auch das Internet wurde uns von der Schöpfung gegeben und so ist es unsere Aufgabe, es so zu kontrollieren, dass es uns nicht unsere Seele stiehlt, denn die ist ja auch ein Geschenk der Schöpfung.

Das ist eine große Herausforderung. Wie viel Technologie steckt in Ihrer Kollektion?

Unsere Meister sind Handwerker. Sie sitzen an ihrem Tisch wie eh und je mit Schere, Faden, aber natürlich auch mit ihrem iPad oder Geräten mit Laser. Unsere Meister müssen mit der Zeit gehen, selbstverständlich. Technologie ist aber bei uns immer nur Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck. Weil ich will, dass unser Unternehmen den Menschen kein Leid zufügt, habe ich es auch verboten, dass nach 17.30 oder am Wochenende E-Mail benutzt wird. Wenn irgendwas arg drängt, kann man mich immer anrufen. Aber Menschen brauchen ihre Ruhephasen.

Alles immer verfügbar, das ist ja auch im Handel Realität. Welche Chancen geben Sie dem stationären Laden in Zukunft?

Ich sehe eine glorreiche Zukunft, insbesondere für unser Segment, denn Luxusprodukte schaut man sich vielleicht online an, aber dann will man irgendwo hingehen und das Cashmere auch fühlen oder dem Schneider sagen, wie er einen Anzug maßfertigen soll. Ich sehe also eine sehr harmonische Koexistenz von On- und Offline.

Das glaube ich auch, besonders wenn Läden sich auf Service und Persönlichkeit konzentrieren.

Auf jeden Fall, der Handel muss sich diesbezüglich neu erfinden. Wenn man mal in einen Laden kommt, muss mein Gegenüber in der Lage sein, zu beraten und zu empfehlen. Der Händler muss eine Art höflicher Berater sein, ein Guide, der mir erklären kann, warum ich das oder jenes kaufen soll. Ich kaufe ja kaum etwas online.

Es fällt mir auch schwer mir Herrn Cucinelli beim Bücherkauf auf Amazon vorzustellen …

Naja, wenn ich es im Buchladen wirklich absolut nicht kriege, dann würde ich schon …

Das Lustige ist ja, dass wir alle immer beteuern, online wäre so viel schneller – aber wenn ich etwas wirklich unmittelbar will, dann ist der Laden immer noch am schnellsten.

Wissen Sie was? Schnelligkeit interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin der Meinung, dass alles einen Wert hat, und auf etwas, das einen Wert hat, kann man auch eine gewisse Zeit warten. Ein Sakko, eine Uhr, selbst ein Buch. Das muss doch alles nicht in der gleichen Minute verfügbar sein. Ich habe gerade vier Tage auf ein Buch gewartet, das ist doch kein Beinbruch.

Wirklich?

Ja, warum nicht? Die Bücher sind doch noch die nächsten 200 Jahre da. Auf etwas zu warten, ist in jedem Fall etwas Schönes. Sich nach etwas sehnen. Eine Schwangerschaft, das sind sieben Monate der Sehnsucht und der Vorfreude. Etwas zauberhaftes für die Liebe und die Beziehung. Die Zeit, die man damit verbringt, auf seine Rigatoni zu warten – das ist Luxus.

Ein gutes Stichwort: Soll man im Luxus künftig wieder warten müssen?

Auf etwas zu warten, hat großen Wert. Warum muss ich wissen, wie morgen das Wetter wird? Ich nicht. Es gibt Sachen, die sind gar nicht so wichtig, aber sie werden es, weil wir plötzlich die Mittel haben, sie bedeutsam zu machen. Das hat ein gewisses digitales Dauerrauschen hervorgebracht. Das hat unsere Seelen schwerer gemacht, die Last, die wir tragen, ist schwerer.

Und es nährt die Unzufriedenheit …

Meine sechs Freunde im Silicon Valley haben mir erzählt, dass selbst sie ihre Kinder auf Schulen schicken, die die iPad-Zeit auf eine Stunde täglich limitieren. Also selbst die Erfinder, sagen einem, dass man seine Kinder dazu erziehen muss, dass sie die Tools unserer Zeit richtig einsetzen. Es braucht die richtige Zeit dafür, die richtige Zeit für deine Seele und die richtige Zeit für deinen Geist. Wir müssen im Sinne unserer Jugend Grenzen setzen, eine Allianz schließen. Überlegen Sie doch mal, was wir als Teenager gemacht haben – wir haben uns wochenlang auf Weihnachten gefreut. Und diese Vorfreude war so faszinierend!

Wie kam es, dass Sie im Silicon Valley diese Freundschaften geschlossen haben?

Zufällig. Wir waren gemeinsam bei einem Dinner im Valley und in San Francisco und sie wollten von mir etwas über Humanismus hören. Ich begann mit Leonardo da Vinci, denn es war gerade sein 500. Geburtstag. Ich sagte ihnen: Das Internet ist ein Geschenk der Schöpfung, aber ihr müsst uns anleiten, wie wir es zu unserem Besten nutzen. Wie wir einen Weg finden, dass es unsere Seele und unseren Geist nicht verletzt, die uns ja auch von der Schöpfung geschenkt wurden. Es darf nicht unsere Seelen stehlen. Leonardo da Vinci war ein Humanist und ich sagte zu ihnen: Wer auch immer unter euch sich als der Humanist im Silicon Valley hervortun wird, er wird der Bedeutsamste unter den Innovatoren werden, denn er wird verstehen, dass er die Technologie so einsetzen muss, dass sie dem Menschen hilft. Mein Freund Marc Benioff (der Gründer von Salesforce, Anm. der Redaktion) ist jemand, der das versteht. Er kombiniert Innovation und Humanismus. Ich war schon zwei Mal Eröffnungsredner auf dieser großen Convention, die Salesforce in San Fransisco ausrichtet und mein Thema war immer der Humanismus. Und die große Frage, wie man Privatheit und Technologie auf einen Nenner bringt.

Es ist spannend, dass Sie Leonardo da Vinci als Beispiel bringen, denn er war auch ein Wissenschaftler, ein Techniker, ein Erfinder – lebte er heute, er würde vielleicht mit KI experimentieren.

Ja, zum Beispiel. Ich bin immer ein bisschen ängstlich, wenn ich fliegen muss und ich sage im Scherz immer: Leonardo, warum hast du nicht etwas anderes erfunden? Warum musstest du mit Deiner Forschung die Grundlage für das Fliegen legen? Besonders, wenn es Turbulenzen gibt, lese ich ihm die Leviten: Leonardo, warum bist du nicht spazieren gegangen, statt dich damit zu beschäftigen?

Sie haben Ihre Firma ja von null aufgebaut: Was sind Ihre Pläne heute?

Ich will, dass der Hauptsitz auch die nächsten 100, 200 Jahre in Solomeo bleibt. Wenn wir es schaffen, immer zeitgemäß zu bleiben, werden wir auch weiterhin diesen Fokus auf Handarbeit und Handwerk haben, immer mit einem großen Anteil an Exklusivität. Unumstößlich ist für mich auch, dass unsere Arbeit der Menschheit keinen Schaden zufügen soll.

Was ist die größte Herausforderung der Zukunft?

Der von mir hochgeschätzte japanische Kaiser ist ja der letzte Kaiser unserer Zeit. Er tritt seine Herrschaft mit dem Thema der Harmonie und Hoffnung an. Ich finde, Harmonie ist das weit bessere Wort als Nachhaltigkeit, ich mag das Wort gar nicht. Als die Menschen noch am Land gelebt haben, waren sie in der Lage, in Harmonie mit ihrer Umgebung zu leben. Man hat Hasen gezüchtet und vor der Witterung geschützt – und dann trotzdem gegessen. Man hat einem Lamm das Fell gestriegelt – und es dann trotzdem gegessen. Die Beziehung zur Schöpfung war sehr gesund. In den letzten 30 Jahren sind wir dann meiner Meinung nach in eine große Zivilisationskrise gerutscht. Denn wir haben versucht, nach wissenschaftlichen Regeln über die Menschheit zu bestimmen. Aber Vernunft alleine ist es eben nicht, das habe ich auch im Silicon Valley gesagt. Man kann nicht nur der Wissenschaft vertrauen. Man braucht Verstand und Seele. Man braucht Voltaire und Rousseau – und zwar gleichzeitig. Wir brauchen Apollo und Dionysos.

Die Leader im Silicon Valley haben versucht, Gott zu spielen?

Ja, das haben sie, aber in den letzten zwei, drei Jahren haben sie verstanden, dass sie etwas Außergewöhnliches geschaffen haben, das auch Regeln und Kontrolle braucht. Wie wir das lösen, ist eine riesige Frage. Ich bin froh, dass vor einem Monat Marc Zuckerberg – so interpretiere ich das zumindest – einen Appell an die Welt gestartet hat. Er hat die Welt um Hilfe gebeten, dem Internet Regeln zu geben. Das ist doch sehr interessant! Ihre Einstellung hat sich gedreht und genauso unsere Einstellung zum Internet. Man sieht, ob im Silicon Valley oder in Solomeo, die Herausforderungen sind gar nicht so verschieden. Ich war vor kurzem bei Jeff Bezos zu Gast und sagte zu ihm: Jeff, du bist der reichste Mann der Welt. Aber wenn ich in 1.000 Jahren nach Seattle zurückkäme, was wäre deine Hinterlassenschaft an die Menschheit? Bevor ich gegangen bin, habe ich noch im Scherz gesagt: Darüber wirst du jetzt das nächste Jahrhundert nachdenken. Etwas zu hinterlassen, was sagen wir mal 5.000 Jahre überlebt. Und jetzt? Er arbeitet an einer Uhr, die 10.000 Jahre gehen soll!

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