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BLSSD | Understated Boldness

BLSSD | Understated Boldness

BLSSD ist für starke und kämpferische Frauen konzipiert. Mitbegründerin und Kreativdirektorin Lama Riachi spricht über das Brechen von Regeln, die Emanzipation der Frau und die Bedeutung von „Pret a Gratitude“.

Interview: Stephan Huber. Fotos: BLSSD

Unter all diesen sorgfältig ausgearbeiteten Markenerzählungen von heute sticht deine Geschichte wirklich heraus. Erzähl sie uns, bitte…

Lama Riachi, Gründerin von BLSSD: Ich komme aus dem Libanon, bin in Beirut geboren und aufgewachsen. Ich kam nach Dubai, um bei Saatchi & Saatchi zu arbeiten. Alles fühlte sich perfekt an. Ich war verheiratet, glücklich, meine Karriere war auf dem richtigen Weg. 2013 wurde bei mir plötzlich Krebs diagnostiziert – aus dem Nichts. Die Diagnose zog eine komplexe Behandlung nach sich, verbunden mit all den Ängsten und Schwierigkeiten, die mit dieser Krankheit einhergehen. Ich hatte Glück. Ich hatte ein stabiles, unterstützendes Netzwerk, meinen Ehemann und meine Schwester. Außerdem hatte ich eine gute Krankenversicherung.

Als ich den Krebs nach guten sechs Monaten besiegt hatte, wollte ich einfach weitermachen, nicht zurückblicken, nicht zu viel darüber nachdenken, was ich durchgemacht hatte. Und da entdeckte ich diese kleine Anzeige in einer Zeitung in Dubai. Eine Frau mit Krebs bat um Hilfe. Sie konnte ihre Behandlung nicht fortführen, weil die Versicherung nicht zahlte. Das hat mich so erschüttert. Ich griff sofort zum Hörer, um 23 Uhr, mitten in der Nacht. Ihre Schwester hob ab.

Um es kurz zu machen: Mithilfe meines Netzwerks und meinenes Mannes Netzwerks konnten wir der Frau helfen, ihre Behandlung abzuschließen. Das war aber erst der Anfang. Sie wollte auch reden. Und das wollte ich auch. Es war ihre Idee, dass sich andere Patientinnen unserem Austausch anschließen. Bald bestand unsere Whatsapp-Gruppe aus 56 Frauen und es zeichnete sich ein sehr klares Bild ab. Die Meisten von ihnen hatten überhaupt keine Unterstützung aus ihrem Umfeld. In dieser Gesellschaft ist Krebs wie ein Fluch, besonders für Frauen.

Es entwickelte sich also eine Eigendynamik?

Ja, und es wurde sehr schnell klar, dass wir eine finanzielle Grundlage brauchten. Aber genau zu dieser Zeit machte ein neues Gesetz Charity und Fundraising in den Vereinigten Arabischen Emiraten fast unmöglich. Also mussten wir einen legalen Weg finden, um unser Projekt zu finanzieren. Wir beschlossen, eine T-Shirt-Kollektion zu entwerfen und zu veröffentlichen.

Der Beginn von BLSSD?

Der Name unserer Whatsapp-Gruppe war „Blessed Together“. Wir leiteten den Markennamen davon ab. Also gab es zuerst den Zweck und dann die Marke, die diesem Zweck dienen würde. Und so wurde die Idee von „Pret a Gratitude“ geboren. Es war allerdings von Anfang an klar, dass wir kein Charity-Merchandising machen wollten. Wir, meine Schwester, mein Mann und ich, planten, eine Modemarke für starke und kämpferische Frauen zu schaffen.

Keiner von euch drei Gründern hatte Modeerfahrung?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich war zu lernen bereit. Also habe ich Kurse besucht, wir haben alle unsere Fähigkeiten und unser Wissen eingebracht, und vor allem Leidenschaft und Engagement. Denn sobald wir sahen, was wir direkt für Menschen erreichen können, wurde unsere Motivation noch größer.

Was passierte als Nächstes?

2018 wurde der Arab Fashion Council auf uns aufmerksam. Eine seiner Aufgaben ist es, lokale Marken zu unterstützen. Sie boten uns eine professionelle Modeschau im Rahmen der Dubai Fashion Week an. Wir nahmen das Angebot an, ohne wirklich zu wissen, ob wir das hinbekommen werden. Paradoxerweise glaube ich, dass es zu diesem Zeitpunkt gut war, dass keiner von uns Modeerfahrung hatte. Denn wir dachten und handelten völlig unkonventionell. Es ging nicht darum, Regeln mit Absicht zu brechen, wir kannten sie einfach nicht. Die Show war ein totaler Erfolg. Das war der Moment, in dem wir offiziell zu einer Modemarke wurden.

Hast du dich in das Dasein als Modedesignerin verliebt?

Ich habe mich in den Versuch verliebt, Mode bedeutsam zu machen. Es ist ein so wertvolles Instrument, um Menschen zu erreichen und zu verbinden.

War BLSSD schon damals das, was du als trans-saisonal beschreibst?

Wir denken nicht in Jahreszeiten, sondern in Geschichten oder genauer gesagt in Kapiteln. Es gibt zwei große Kollektionen pro Jahr, im März und Oktober. Jede Kollektion hat ein bestimmtes Thema. Und es ist sehr wichtig, dass diese Kapitel aufeinander aufbauen. Ein Kleidungsstück aus dem aktuellen Kapitel 7 soll auch zu dem passen, was unsere Kundin im Kapitel 4 gekauft hat.

Wir machen auch keinen Sale. Wir produzieren in angemessenen Mengen, je nach Feedback und Nachfrage, auch abhängig davon, wie lange wir Stile beibehalten oder weiterentwickeln. In unserem letzten Pop-up, wir bezeichnen es ja als Ausstellung, gab es Signature-Pieces aus 2018 oder 2019, neu erfunden, überarbeitet.

Regelbruch scheint an der Tagesordnung zu sein.

(lacht) Wir erleben das gerade als Herausforderung, da wir in den Wholesale einsteigen. Die meisten Einkäuferinnen und Einkäufer verstehen trans-saisonal entweder nicht oder wissen nicht, wie sie es in ihr bestehendes System integrieren sollen. Es wird herausfordernd, da standhaft zu bleiben, aber das Feedback unserer Kundinnen gibt uns das Selbstbewusstsein dazu.

BLSSD zeigt eine selbstbewusste und offensichtliche Weiblichkeit. Für mich scheint das auch eine soziopolitische Aussage zu sein. Oder täuscht mich eine westliche männliche Perspektive?

BLSSD ist nicht als politisches Statement gedacht. Wir wollen eine ernstzunehmende globale Marke werden und dabei immer unseren sozialen Zweck beibehalten. Aber gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass das Empowerment von Frauen, und das nehmen wir wirklich sehr ernst, immer auch politisch ist.

In der Konsequenz bedeutet das auch, dass Frauen nicht verstecken müssen, dass sie Frauen sind. Und das zeigen wir in unseren Entwürfen, aber niemals platt. Die Weiblichkeit ist nie Mittel zum Zweck. Ich nenne es understated boldness. Das ist es, was BLSSD sein soll.

Vielen Dank für das Interview.
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