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Was treibt die Männermode heute an?

Was treibt die Männermode heute an?

Jörn Boysen | Marketing & Fashion-Director

Ist es ein neues Modebewusstsein einer neuen Generation? Digitalisierung und Fortschrittsglaube? Intelligente Textilien und eingearbeitete technische Features versprechen smarte Lösungen für eine neue Menswear. Welche Trends und Strömungen sind für die Männermode wirklich relevant und wie könnte diese aussehen. Inwieweit nimmt eigentlich das völlig veränderte Konsumverhalten Einfluss?  

 

Androgynität

„Wir sind im Schnellzug unterwegs Richtung geschlechtsneutraler Kleidung. Jeroen van Rooijen, ZürichBald werden wir in der Kleidung keine wirklichen Unterschiede mehr haben. Die Tendenz sehen wir jetzt schon: Männer wie Frauen tragen im Alltag Hosen oder Jeans, das T-Shirt dazu und die Strickjacke, was sich lediglich durch die jeweilige Körperform unterscheidet. Die Teile funktionieren bei beiden Geschlechtern gleich gut, von Kleidern und Röcken einmal abgesehen. Wir sind schon mitten drin in der Androgynität und Geschlechtslosigkeit.“

Jeroen van Rooijen, Journalist, Stilexperte und Inhaber Cabinet, Zürich

 

Rückbesinnung

„Immer mehr Sportswearmarken gehen Richtung Fashion und immer mehr Fashionmarken gehen Richtung Sportswear. Jörn Boysen | Marketing & Fashion-DirectorDas Ergebnis ist ein Hybrid, mit dem Resultat, dass keiner mehr so genau weiß, wofür welche Marke eigentlich steht. Genau da liegt das Problem: Wenn sich eine eher klassische Herrenkonfektionsmarke zu gewollt ins Sportive dreht, verliert sie ihre Eigenständigkeit, nur um trendy und modern zu sein und ein Stück Erfolg der Sportswear mit zu erhaschen. Wir leben in einer Hybridgesellschaft, in der es alle möglichen Optionen gibt und in der alle versuchen, alles ein bisschen mit abzudecken, was die anderen ja auch machen. Aber so kommt man nicht weit. Die Menswear wird sich künftig wieder stärker segmentieren, weil es in der Mode immer Wellenbewegungen gibt. Zwar lösen sich die Dresscodes weiterhin auf, aber nach einer gewissen Übersättigung des Marktes wird es eine Rückbesinnung auf Werte und Authentizität geben. Weil es umso wichtiger ist, für etwas zu stehen.“

Jörn Boysen, Marketing- und Fashion-Director Götterfunke Communication, CEO Dornschild 

 

Moderne Natürlichkeit

„Der Konsument steht mehr denn je im Mittelpunkt und nimmt Einfluss auf die Entwicklung der Menswear. Es geht um das Mindset der Konsumenten, um die Einstellung und den Lifestyle. Dabei wird umso deutlicher, dass sich die Menswear liberalisiert und konventionelle Dresscodes Relevanz verlieren und verschwinden. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von Smart Casual zu. Eine Entwicklung, die für Marc O’Polo ein gutes Wachstumsfeld darstellt.

In der Sportswear können wir den Fortschritt von technischen Features beobachten. Was in diesem Bereich entsteht, ist enorm! In der Materialentwicklung steckt auch künftig die größte Innovation. Unabhängig von diesem Trend müssen wir uns stetig die zentrale Frage stellen, was der Konsument und unser Kunde bei Marc O’Polo und von unserer Marke erwartet. Der Wohlfühlaspekt ist elementar. Unsere Kunden wollen sich in Materialien mit Stretchanteil für die Beweglichkeit, in natürlichen Qualitäten, im Mix mit technischen Materialien oder im funktionalen Layering-Style, wie zum Beispiel Jackets mit herausnehmbarem Innenfutter, wohlfühlen. Außerdem gewinnt das Thema Nachhaltigkeit bei unseren Kunden zunehmend Bedeutung. Das ist auch aufgrund der Kundennachfragen für uns sehr wichtig. Um zwei beispielhafte Initiativen zu benennen: Bei unseren Slow-Down-, No-Down-Produkten verzichten wir auf die Verwendung von Daune und in der Denimproduktion arbeiten wir mit unseren Lieferanten daran, den Wasserverbrauch zu reduzieren. Wir setzen bei einigen Produkten bereits Biobaumwolle ein und wollen den Einsatz weiter ausbauen. Die Marc O’Polo Menswear zeichnet sich durch moderne Natürlichkeit aus. Alles, was wir tun und zukünftig tun werden, geschieht im Sinne der Marc O’Polo DNA und unserer Werte.“

Susanne Schwenger, CPO Marc O’Polo

 

Nachhaltigkeit und 1990er-Revival

„Wir beobachten in der Mode vermehrt sich wiederholende Trends. Vicki Bohlbro, NapapijriDer Paninaro-Style und Marken aus den 1990er-Jahren, die ein Revival erfahren, sind aktuell nur zwei Bespiele dafür. Diese Repetition wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Bei Napapijri ist zum Beispiel die Tribe-Kollektion vom Rhythmus urbaner Kultur und 1990er-Nostalgie inspiriert. Von den Bürgersteigen L. A.s bis zu den Straßen Londons zelebriert sie Unisex-Mode als Ausdruck von Inklusion und Stil. Außerdem ist definitiv Nachhaltigkeit ein zunehmend wichtiges Thema in der Mode. Seit 2017 verzichten wir gänzlich auf die Verarbeitung von Pelz. Stattdessen verwenden wir Eco-Fur-Synthetikpelz aus Kanecaron-Fasern, dessen Herstellungsverfahren frei von Chemikalien ist. Darüber hinaus verwenden wir keine Daunen mehr und entwickelten stattdessen das bahnbrechende Thermo-Fibre-System, das herausragende thermoregulierende, isolierende und schnell trocknende Eigenschaften gewährleistet.“

Vicki Bohlbro, Vice President Global Marketing E-Commerce bei Napapijri

 

Glasklares Profil

„Die neue Generation junger Männer hat ein sehr viel ausgeprägteres Körperbewusstsein als noch vor einigen Jahren. Die neue Generation Mann ist eitler geworden. Dominik Meuer, Die HinterhofagenturNatürlich sind diese Männer modeinteressiert. Bis dato ist diese Zielgruppe vernachlässigt worden. Diese neue Generation spielt mit den Outfits und genießt die Mode. Es werden Männerpflegeprodukte verwendet und der Bart wird standesgemäß vom Barbier des Vertrauens gestutzt. Warum sollen nur die Frauen Spaß an der Mode und am gepflegten Äußeren haben? Jetzt sind auch mal die Männer dran. Sie haben einiges nachzuholen. Die Gebrauchsansprüche an Textilien sind stetig gestiegen. Der Funktionsbereich, ursprünglich im Active-Sports-Bereich, hat längst Einzug in die Mode gefunden. Intelligente Lösungen im Stoff, aber auch die elektronisch steuerbaren Textilien werden bald Realität werden. Einige Einkäufer bemängeln heute die Vielfältigkeit der Mode. Es gibt keine Modedogmen mehr wie in den 1970er-, 1980er- oder 1990er-Jahren. Dadurch ist der Einkauf schwieriger geworden, individueller. Viele Endkonsumenten sind auch überfordert. Die Hersteller müssen ein glasklares Profil haben, ansonsten sind sie nicht glaubhaft. Dieses muss über Instagram und Co. kommuniziert werden. Trotzdem glauben wir immer noch an die Macht des Produkts. Gute Brands bestehen auf Dauer am Markt nur mit immer wieder gut gemachten und innovativen Kollektionen. Nur aus guten Produkten können vielleicht irgendwann auch gute Marken werden.“

Dominik Meuer, Inhaber Die Hinterhofagentur

 

Casual Friday? Everyday!

„Bequemlichkeit geht über alles! Durch die Revolution der Stretchmaterialien haben auch Männer entdeckt, dass es nicht nur lässig, sondern vor allem bequem sein darf und muss. Alte konforme Zwänge und Regeln sind längst gesprengt, selbst bei klassischen Unternehmen wie Banken. Der Casual Friday ist längst Everyday geworden. Dazu kommen Streetwear, Sportswear und Athleisure, die die Männermode so extrem wie auch der Wunsch nach Individualität beeinflussen. Um diesem Wunsch zu entsprechen, suchen auch unsere Handelskunden neue Optiken in allen Produktgruppen, aber in bereits bewährten Materialien, Formen und Produkten. Für die stationären Händler ist es heute schwieriger geworden, die perfekte Balance von Basics und Highlights, von großen Budget verschlingenden Marken und kleinen, individuellen Brands zu finden. Schuhe, Accessoires und große Marken finden wie auch der gesamte Bedarfshandel zunehmend im Internet statt. Dazu kommt das Thema Preisaufbau: Zwar sind die Endverbraucher anspruchsvoller geworden, aber vor allem beim Thema Bedarf preissensibler. Was sich dagegen nicht geändert hat, ist die Wichtigkeit persönlicher Beratung durch die stationären Händler, um die Werte zu transportieren, um neue Marken, das Besondere in den Materialien und in der Fertigung der Menswear zu kommunizieren. Wer dieses Einkaufserlebnis bieten kann, wird auch in Zukunft bestehen können.“

Timo Moormann, Geschäftsführer Agentur Moormann & Co.

 

Einfachheit

„Die heutige Männermode wird zunehmend von dem Streben nach Perfektionismus und dem Wunsch nach Individualität bestimmt. Gennaro Dargenio, Circolo 1901Der persönliche Stil ist dabei wichtiger, als einer bestimmten Mode zu folgen. Die jungen Menschen der neuen Generation hat klare Vorstellungen von Stilen – eine Folge der Digitalisierung, die es ermöglicht hat, sich weltweit mit anderen Menschen aus anderen Kulturen zu verbinden.

Das bringt auch neue Herausforderungen für die Menswear mit sich, die einfach und selbstverständlich tragbar sein muss. Aber nicht nur das. Das Kleidungsstück muss sich auch an unvorhergesehene Situationen anpassen können, sollte leicht sein und auch dank intelligenter Materialien auf Reisen im Gepäck nicht knittern. Ein Easy Outfit also, das für alle Gelegenheiten geeignet ist und den Mann den ganzen Tag über begleiten kann, sei es zuhause, bei der Arbeit oder beim Cocktail mit Freunden am Abend, bequem, unkompliziert und mit perfekter Passform. Nicht mehr, aber auch nicht weniger muss die Menswear von heute erfüllen.“

Gennaro Dargenio, Gründer Circolo 1901

 

Männermode hat zwei Seiten

„In der Mode sehen wir heute einerseits übertriebene Logos und ziemlich extreme Fashionstatements – aber andererseits wollen Männer einfach gut aussehen, nicht extrem. Ich sehe auch, dass der Wechsel der saisonalen Produkte immer noch schneller geht. Patrick Munsters, Salle PrivéeSeit dem Blogger- und Instagram-Zeitalter wirkt es zunehmend, als ob sich die Menschen fünf Minuten Zeit nehmen, um ein Produkt zu genießen. Und dann ist es schon ‚last season‘. Aufgrund dieser Schnelllebigkeit kann ein Produkt gar nicht mehr zur Ikone werden, es verliert seinen Wert immer schneller. Aber: Der Großteil der Männer interessiert sich doch gar nicht für diesen Modezirkus. Sie suchen die emotionale Befriedigung, die ein gut gemachtes Luxusprodukt geben kann, aber eigentlich wollen sie Dunkelblau tragen und darin gut aussehen. Und wenn ein Produkt passt, dann wollen sie das gleiche wieder, vielleicht noch in einer anderen Farbe. Unsere Produkte haben nicht deshalb Charakter, weil sie irgendwas in die Welt hinausbrüllen. Sie lassen Platz für die Persönlichkeit des Trägers und sind dazu da, seinen Geschmack und Stil zu unterstreichen. Die Männermode hat heute zwei Seiten: diese extreme mit den verrückten Dingen und die Seite, auf der ich mich wohl fühle. Die Seite, auf der Männer nach Bekleidung suchen, die nicht aus der Mode kommt – einfach, weil sie sich darin wohlfühlen und verdammt gut aussehen.“

Patrick Munsters, Gründer von Salle Privée

 

Komfort und Funktionalität

Paolo Xoccato, Xacus„In den letzten Saisons kann man eindeutig eine größere Bedeutung von Komfort und Funktionalität beobachten – bei allen Bekleidungsstücken. In der Konsequenz rückt also die Recherche nach Materialien und das Optimieren der Machart noch mehr in den Fokus, denn beides kann die Trageeigenschaften eines Teils in vielen Gesichtspunkten enorm verbessern. Gleichzeitig gilt es, allen Details und Zutaten größte Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen, weil sie immer sichtbarer und damit selbstredend auch wichtiger werden.“

Paolo Xoccato, Inhaber Xacus

 

Fokus Nachhaltigkeit

„Mit Blick auf die Zukunft der Mode und die unseres Planeten sollte jede Materialinnovation darauf basieren Abfall zu vermeiden, recyceltes Material zu verwenden und umweltschonendere Prozesse anzuwenden, um den Schutz der Meere und der Umwelt voranzubringen. Willem Wijnen, North SailsDas ist die zentrale Säule unserer Mission. Solche Prozesse werden künftig bei einer bewusst konsumierenden Zielgruppe zunehmend in den Fokus rücken. Wir unterstützen deshalb zusätzlich mit Spenden in Höhe von einem Prozent unseres weltweiten Umsatzes die britische Ocean Family Foundation und werden uns auch künftig noch stärker für den Schutz der Weltmeere und für den Erhalt der Artenvielfalt einsetzen. Darüber hinaus kommunizieren wir in unseren Medien-Kampagnen Aufrufe zum Erhalt der Ozeane, organisieren Müllsammel-Aktionen und arbeiten mit renommierten Umweltaktivisten und Meeresschützern zusammen. Vor zwölf Monaten haben wir damit begonnen unsere Lifestyle Apparel Kollektion zu überarbeiten, allen voran die volumenstarken Bestseller, gefolgt von speziellen Produkten die das Bewusstsein für diese Thematik steigern sollen. Die T-Shirts und Sweatshirts unserer „Free The Sea“-Capsule Kollektion werden bereits ausschließlich aus „Recover Blue“ gefertigt, einem Materialmix aus upcycleter Baumwolle und PET-Flaschen. In Zukunft werden unsere Produkte Schritt für Schritt aus immer mehr nachhaltigen Materialien hergestellt.“

Willem Wijnen, CCO von North Sails

 

Abwechslung und Abgrenzung

„Große Marken werden zunehmend unwichtiger und die Zeit der Markensammler neigt sich dem Ende. Norbert Klauser, Agentur KlauserDie großen Marken geben sich elitär in der Auswahl ihrer Handelspartner und sind auf Plattformen wie Farfetch dennoch beliebig erhältlich. Die Off White’s und Vetements gehen so schnell wie sie gekommen sind. Sicherheit, die von Marken vermittelt wird funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad. Die Authentizität des Menschen zählt letztlich mehr. Die Endverbraucher sind offen und bereit für neue Dinge wie noch nie zuvor. Diese Bereitschaft erfordert vom Einkäufer mehr Offenheit und Spezialisierung. Das bedeutet auch das Trends vom Einkauf nicht im Oktober fürs gesamte Jahr geplant werden können, hier zählt Emotion, nicht nur Zahlen. Apropos Zahlen: Produktqualität von Herstellern, die vielleicht nicht so bekannt sind, dafür aber mehr Leistung bieten und obendrein nicht unmittelbar mit einem Klick dem bundesweiten Preisvergleich standhalten müssen, sollten mehr Beachtung erfahren.

Die Silhouetten verändern sich gerade. Bundfalte kommt und die Sakkos werden wieder komfortabler – der Übergang ist nicht radikal, sondern fließend. Es wird immer schwieriger den Punkt genau zu treffen an dem das geschieht und eigentlich bedarf es einer kontraproduktiven Einkaufsstrategie, die durch Abwechslung und Abgrenzung zu den Mainstream-Anbietern geprägt ist. Und wichtiger noch als jeder modische Trend wird in Zukunft die Seriosität in der Zusammenarbeit sowie der verantwortungsvolle Umgang miteinander sein.“

Norbert Klauser, Agentur Klauser

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