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„Everyone wants to get into fashion, but fashion wants to get into food.“

30/06/2025  BY  Stephan Huber


Dieses halb ironische, halb prophetische Zitat fasst eine Stimmung zusammen, die sich in der Modewelt seit einiger Zeit still und leise breitmacht. In einer Zeit, in der digitale Beschleunigung, Massenkonsum und algorithmische Gleichförmigkeit der Mode einen Großteil ihres Geheimnisses und ihrer Bedeutung genommen haben, scheint etwas Wesentliches zu fehlen. Dieses Etwas ist das, was Essen – und im weiteren Sinne die Gastronomie – noch immer ausmacht: eine tiefe Verbindung zum Leben, zu Gefühlen, zur Präsenz.

Früher war Mode ein Spiegel der Kultur. Heute wirkt sie oft wie ein Spiegel des Marketings. Aber wenn wir hinter die Fassade blicken, entdecken wir eine Sehnsucht – nicht nur bei Designern, sondern auch bei Verbrauchern, Einzelhändlern und sogar den Medien – nach einer intimeren, sinnlicheren und gefühlvolleren Erfahrung. In diesem Licht betrachtet, ist Essen für die Mode nicht nur ein weiteres Lifestyle-Accessoire, sondern erscheint wie eine Sprache, die sie vergessen hat.

Essen ist lebenswichtig. Niemand bestreitet das. Es nährt, verbindet und tröstet. Es ist buchstäblich das, woraus wir bestehen. Aber was wir tragen, was unsere Haut berührt, womit wir unseren Körper jeden Tag umhüllen, ist nicht weniger intim. Und doch sprechen wir selten in solch essenziellen Begriffen über Mode.

Touched by tactility

Mode hat nach wie vor das Potenzial, eine zutiefst sinnliche Erfahrung zu sein. Das Gefühl von Wolle auf der Haut. Das Ritual des Ankleidens. Die Art und Weise, wie Farben die Stimmung beeinflussen. Aber diese Sinnlichkeit wurde durch ein System gedämpft, das auf Geschwindigkeit, Größe und Klicks optimiert ist. Der stationäre Einzelhandel, einst Schauplatz des Modetheaters, kämpft ums Überleben, obwohl einige Orte, wie Le Bon Marché in Paris, es immer noch schaffen, Atmosphäre, Neugier und Geschichtenerzählen so zu inszenieren, dass nicht nur der Geldbeutel, sondern auch die Sinne angesprochen werden.

Kleidung war schon immer mehr als nur Funktion, genau wie Essen. Sie erzählt Geschichten darüber, woher wir kommen, wer wir sind, wer wir sein möchten. Sie trägt Erinnerungen. Sie trägt Identität. Genau wie Essen kann Kleidung tief emotionale Bedeutung haben. Der Schal, der nach deiner Mutter riecht. Der Pullover, den du bei deinem ersten Job getragen hast. Das Kleid, das du mit einer bestimmten Stadt, einer bestimmten Jahreszeit oder einer bestimmten Liebe verbindest.

Und doch hat sich die Mode jahrzehntelang von dieser Bedeutung distanziert. In ihrem Wettlauf, mit der Nachfrage Schritt zu halten, wurde die Sprache der Mode unpersönlich: Drops, Klicks, Checkouts. Quantität statt Verbindung. Die Lebensmittelbranche hingegen schlug einen gegenteiligen Weg ein. Sie besann sich auf ihre Wurzeln. Sie würdigte Regionalität. Sie machte Großmütter zu Expertinnen und Zutaten zu Protagonisten. Der Aufstieg des Farm-to-Table-Konzepts hatte nicht nur mit Frische zu tun, es ging um das Erzählen von Geschichten. Vielleicht gewähren wir Köchen deshalb eine gewisse Autorität, die einst der Mode zukam, weil sie die emotionale Bedeutung ihres Mediums nie ganz aus den Augen verloren haben.

Wir akzeptieren, dass Köche eine Philosophie haben. Dass ein Gericht nicht nur den Geschmack widerspiegelt, sondern auch einen Kontext: den Ort, die Tradition, die Leidenschaft. Wir wissen, woher unser Sauerteig kommt, wer das Miso hergestellt hat, warum die Pasta in dieser einen Trattoria in Mailand so einzigartig schmeckt. Wir respektieren die Handschrift. Wir verstehen die Absicht.

Die Mode muss vom Essen lernen – nicht, um mehr zu verkaufen, sondern um den Menschen mehr fühlen zu lassen. Denn Gefühle sind nicht nur Sentimentalität. Sie sind ein Tor zu Bedeutung, Verbindung und Erinnerung.

Das soll nicht heißen, dass es der Mode heute an Visionen mangelt. Ganz im Gegenteil. Aber die Strukturen lassen ihr selten Raum zum Atmen. Was Köche offenbar geschützt oder zurückerobert haben, ist das Recht, in ihrem eigenen Rhythmus zu arbeiten, ihre eigene Sprache zu sprechen und nein zu sagen, wenn die Integrität durch Skalierung gefährdet ist.

Wenn ich also sage, dass Gastfreundschaft der neue Luxus ist, meine ich genau diesen kulturellen und emotionalen Wandel von materiellen Besitztümern hin zu Erlebnissen und personalisiertem Service. Bei diesem Wandel geht es nicht darum, Schönheit, Fantasie oder gar Hedonismus aufzugeben. Es geht darum, ihnen Gewicht zu verleihen, Relevanz, Verbindung.

Beyond Borders

Wenn Mode ihre Grenzen überschreitet, geschieht etwas Bemerkenswertes: Sie hört auf, nur eine Branche zu sein und wird wieder zu einer kulturellen Treibkraft. Dabei ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür. Es gibt eine wachsende, fast instinktive Sehnsucht nach Echtheit, nach Klarheit, nach Verbindung. Und die Mode – insbesondere der Modeeinzelhandel, wenn er bewusst neu gedacht wird – hat die Mittel, darauf zu reagieren. Sie kann Präsenz bieten. Sie kann Wärme bieten. Sie kann Räume bieten, die Emotionen, Teilhabe und ein Gefühl der Zugehörigkeit hervorrufen. Und das ist nicht nur hoffnungsvoll – es ist auch umsetzbar.

Commerce meets Culture

Diese Interdisziplinarität kann auch neue wirtschaftliche Denkweisen eröffnen. Wo der traditionelle Einzelhandel allein einen Raum nicht mehr tragen kann, könnte eine durchdachte Mischung aus Handel und Kultur genau das Richtige sein. Eine Boutique, die auch Speisen serviert, Lesungen veranstaltet und Künstler beauftragt. Ein Modestudio, das seine Küche mit einem Keramikkollektiv teilt. Ein Conceptstore, der zur Bühne, zum Café, zum Ort der Begegnung wird.

Das sind keine utopischen Visionen – sie sind bereits Realität.

Sie werden von kreativen Unternehmern vorangetrieben, die verstanden haben, dass Erfahrung die neue Währung ist und dass Relevanz aus Resonanz entsteht. Von der LX Factory in Lissabon bis zur neuen Boutique von Simon Miller im Herzen des Arts District von Los Angeles. Vom Pop-up-Aquarium, dem wunderschön kuratierten Raum, den Clemens Sagmeister am Bodensee eröffnet hat, bis zu unzähligen anderen lokalen Hybriden, die still und leise neu definieren, was ein Einzelhandelsraum sein kann.

Die Lehre daraus? Kreative Konvergenz ist keine Bedrohung für die Identität der Mode. Sie könnte sogar das sein, was sie rettet. Nicht indem sie die Mode größer macht, sondern indem sie ihr Tiefe verleiht, mehr in Zeit, Ort und Person verankert, Mehr in die urbane Vorstellungswelt integriert. Weniger auf der Jagd nach Neuem, als mehr auf der Suche nach Bedeutung.

Denn letztendlich ist das stärkste Design – ob in der Gastronomie oder in der Mode – nicht von Trends bestimmt, es ist von Erinnerungen geprägt.

Die Mode sucht nach Relevanz und vielleicht weiß sie instinktiv, wo sie diese finden kann: in Lebensmitteln, in der Gastronomie, in den gemeinsamen Ritualen, die uns lebendig und verbunden fühlen lassen. Nicht weil Lebensmittel im Trend liegen, sondern weil sie echt sind, verwurzelt, unmittelbar, geschichtenreich und sinnlich. Alles, was Mode einmal war und wieder sein könnte.

Es geht nicht darum, Mode in Essen zu verwandeln, sondern darum, zu erkennen, dass beide Bereiche auf denselben Grundlagen beruhen: Intuition, Urheberschaft und Emotion. Durch die Überschreitung von Disziplinen kann Mode weniger isoliert und integrierter Teil eines breiteren kulturellen Metabolismus werden, der Architekten, Köche, Landwirte, Parfümeure und Künstler umfasst. Die Zukunft ist nicht monolithisch. Sie ist multisensorisch, polyphon und zutiefst lokal. Sie wird nicht von oben nach unten aufgebaut, sondern von innen heraus.

In dieser Welt ist Mode nicht das Hauptgericht – sie ist ein Platz am Tisch.

Und das ist vielleicht letztendlich der spannendste Ort, an dem man sein kann.

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