Text: Janaina Engelmann-Brothánek. Fotos: IO
Verantwortung ist längst keine Fußnote mehr, sie ist das neue Narrativ. Doch in einer Branche, die von Spektakel, Schnelllebigkeit und stetiger Neuerfindung lebt, stellt sich eine unbequeme Frage: Kann Mode wirklich verantwortungsvoll sein? Suzy Amis Cameron und Matteo Ward sind überzeugt: Ja. Aber nur, wenn wir bereit sind, alles neu zu schreiben – von den Lieferketten bis hin zum Selbstverständnis. Als Gründerin von Inside Out entwirft Suzy Amis Cameron einen ganzheitlichen Wirkungsrahmen, der Mode, Ernährung, Bildung und Medien miteinander vernetzt – ein Ökosystem, das auf Verantwortung fußt. Matteo Ward, Co-Gründer von WRÅD und heute CEO von Inside Out Fashion, Textiles & Home, bringt über ein Jahrzehnt Aktivismus, strategisches Denken und Design-Disruption in diese neue Dimension von Einfluss und Wirkung.
„Am Ende geht es doch um unsere Kinder“, sagt Suzy Amis Cameron während ihrer Eröffnungsrede und bittet die Anwesenden, an ein wichtiges Kind in ihrem Leben zu denken. Der Satz bleibt hängen und fokussiert, was diese Initiative ausmacht: Zukunftsverantwortung, gedacht aus der Perspektive der Kinder und der Kinder ihrer Kinder.
Doch zurück zum Anfang: Was passiert, wenn eine Umweltaktivistin, ehemalige Schauspielerin und dreifache Autorin auf einen radikalen Modedenkenden trifft? Es entsteht mehr als eine bloße Kooperation – eine echte Verbindung mit der Kraft, Dinge grundlegend zu verändern. Als Suzy Amis Cameron zum ersten Mal von Matteo Wards Dokumentarfilm „Junk – Armadi Pieni“ hörte, saß sie gerade im Auto. „Ich rief sofort an und sagte: Ich will Executive Producerin werden.“ Ein spontaner Impuls, der schnell zu einer tiefen, vertrauensvollen Zusammenarbeit wurde.
„Ich dachte erst, es sei ein Scherz“, erinnert sich Ward, der einst bei Abercrombie & Fitch im amerikanischen Fast-Fashion-Business arbeitete, bevor er die Plattform WRÅD gründete. Mit über zehn Jahren Erfahrung an der Schnittstelle von Design, Forschung und Aktivismus wusste er sofort: „Wir teilen nicht nur die Dringlichkeit, sondern auch die Vision und vor allem den Willen, nicht bei der Kritik stehen zu bleiben.“ Gemeinsam weben die beiden nun jene Fäden zusammen, die lange lose nebeneinander hingen: Bildung, Technologie, Textilien, Architektur, Landwirtschaft. Das Ziel ist ein radikal neues: regenerative Systeme, die auf Verantwortung statt Ausbeutung bauen – weder von Menschen noch von Ressourcen.
PODCAST
Curated Coincidence
„Was wir tragen, ist kein neutraler Akt“, ist Suzy Amis Cameron überzeugt. Kleidung ist weit mehr als textile Hülle, sie ist ein Statement, politisch, persönlich, und oft ein Spiegel unserer Werte. Genau hier setzt Inside Out Fashion, Textiles & Home an: an der sensiblen Schnittstelle, an der Ästhetik, Ethik und Alltag aufeinandertreffen. Diese Haltung vertritt Suzy Amis Cameron schon länger: Bereits 2009 gründete sie die Initiative Red Carpet Green Dress, lange bevor Nachhaltigkeit in der Modeindustrie zum Buzzword wurde. Die Idee: den Glamour der Oscar-Nacht zu nutzen, um ökologische Verantwortung auf den sichtbarsten roten Teppich der Welt zu bringen.
Das Jahr 2025 markiert nun ein neues Kapitel: In einem emotionalen Statement auf Instagram verkündete Amis Cameron das Ende von RCGD Global und ihren nächsten, größeren Schritt: Die vollständige Integration der Initiative in die neue Plattform Inside Out Fashion, Textiles & Home. „Es war Zeit, das Thema aus der Nische zu holen“, sagt sie. Aus Red Carpet wird Real Change.
„Mode war nie nur Kleidung“, ergänzt Matteo Ward. „Sie war immer auch ein Instrument von Macht und Ausgrenzung. Heute stehen wir vor den Trümmern dieser Ideologie. Kleidung ist zur Wegwerfware geworden. Wir müssen das System neu schreiben.“
Inside Out tut genau das und denkt Mode konsequent als Systemfrage. Statt Fast Fashion: langlebige Materialien, regenerative Lieferketten, lokale Produktion, zirkuläres Denken. Statt Greenwashing: echte Forschung, neue Technologie, Bildungspartnerschaften. Gemeinsam mit Universitäten, Start-ups und biotechnologischen Labs entstehen textile Innovationen, die messbar besser sind für Mensch und Planet.
Ein Beispiel ist Sheep Inc. aus Neuseeland, ein Label, das regenerative Landwirtschaft mit CO₂-negativer Produktion verbindet. Oder das italienische Start-up Orange Fiber, das Fasern aus Zitrusschalen herstellt – luxuriös, vegan, biologisch abbaubar.
„Es geht nicht um Verzicht“, sagt Amis Cameron. „Es geht darum, Schönheit neu zu definieren – mit Verantwortung, Transparenz und einem klaren Ziel: die Welt für die Generationen zu schützen, die wir nie kennen lernen werden.“
Für diese neue Definition braucht es mehr als Produkte. Es geht um neue Narrative oder vielmehr Gegennarrative.„Wir glauben an das transformative Potenzial von Bildung“, erklärt Suzy Amis Cameron. „Aber nicht nur in Schulen, sondern überall.“ Aus diesem Grund arbeitet Inside Out mit Universitäten wie MIT, Texas Tech oder Georgia Tech an mehr als 17 interdisziplinären Forschungsfeldern – von Bodengesundheit bis Wasserreinigung. Eines der Leuchtturmprojekte ist CASFER, ein tragbares Gerät zur Detektion von Antibiotikarückständen im Trinkwasser. „Technologie darf kein Luxus sein“, sagt Matteo Ward. „Sie muss zugänglich, demokratisch und skalierbar sein, um wirklich systemisch zu wirken.“
Ward sieht Bildung als aktiven Hebel für Veränderung und als Herzensprojekt. Schon mit seiner Plattform WRÅD Living betreibt er seit Jahren radikale, visuelle Aufklärung in Schulen, auf Festivals, in Museen. Dabei geht es nie um den moralischen Zeigefinger, sondern um Neugier und Kontext. Ein Beispiel ist das gemeinsam mit der FAO entwickelte „Storia di una maglietta“, ein kostenloses Arbeitsbuch für Kinder, das in 17 Sprachen weltweit verfügbar ist. Es ist ein Tool für frühzeitige Bewusstseinsbildung, spielerisch und fundiert zugleich. „Wenn wir wollen, dass die nächste Generation anders konsumiert, müssen wir sie früh einladen, mitzureden“, sagt Ward. Bildung wird bei Inside Out nicht als Checkliste verstanden, sondern als Prozess, als Einladung zum Mitdenken, als kollektiver Akt der kulturellen Neuschreibung.
Warum Rom? „Weil es Rom ist“, erklärt Amis Cameron lachend. Das klingt beiläufig, doch dahinter steckt viel mehr. Rom ist Symbol und System zugleich – Geschichte und Gegenwart, Chaos und Kraftzentrum. Eine Stadt, in der Politik, Kultur, Spiritualität und Zivilgesellschaft seit Jahrhunderten in Reibung zueinanderstehen, ein Spannungsfeld aus dem Bewegung entsteht.
„Rom kann ein Resonanzraum für echten Wandel sein“, ergänzt Matteo Ward. „Hier treffen globale Entscheidungszentren auf lokale Realitäten. Genau das brauchen wir: Orte, die zuhören – und senden.“ Das neue Headquarter von Inside Out liegt strategisch mitten im Herzen der Stadt, in Sichtweite von FAO, UNESCO und WHO. Ein bewusst gewählter Standort, der Sichtbarkeit mit Anschlussfähigkeit verbindet, denn echte Transformation funktioniert nicht im Solomodus, sie lebt von Verbindungen.
Doch Rom steht nicht nur für die Vernetzung von Macht und Praxis, sondern auch für Kontinuität und Erneuerung. „Diese Stadt trägt den Geist der Wiederholung, aber auch der Wiedergeburt“, sagt Ward. Und genau diese Haltung braucht die nachhaltige Mode- und Lebenswelt von Inside Out: eine Abkehr von schnelllebigen Trends hin zu einer Haltung, die dauerhaft wirkt – tief verwurzelt und zukunftsorientiert.
Nachhaltigkeit ist für Suzy Amis Cameron keine fixe Destination, sondern eine stetige Reise – eine, die immer weitergeht und uns herausfordert, Verantwortung neu zu denken. Dabei geht es nicht um Verzicht oder Einschränkung, sondern um echte Befreiung: Weniger Besitz kann mehr Freiheit schenken, Langlebigkeit wird zum neuen Statussymbol und Transparenz zur wertvollsten Währung.
Auf die Frage, welche Praktiken sie aus der Modeindustrie für immer entfernen würden, antwortet Matteo Ward klar: „Die geplante Obsoleszenz, dieses Konzept, das Produkte schnell verbraucht und weggeworfen werden, muss verschwinden. Stattdessen brauchen wir eine programmierte Regeneration, die Mode nachhaltig und lebendig macht.“ Suzy ergänzt: „Mode muss so gestaltet werden, dass sie Menschen, Natur und Gesellschaft aufbaut, nicht ausbeutet. Nur so wird sie zukunftsfähig.“
Kooperation ist für Suzy dabei ein zentrales Thema. „2009 stießen wir oft auf verschlossene Türen“, erzählt sie. „Doch langsam öffnen sich viele Luxusmarken – nicht aus Wahl, sondern weil der Markt es fordert. Wir arbeiten mit Vivienne Westwood, Armani, Louis Vuitton. Stück für Stück bewegt sich etwas.“ Wenn Türen sich schließen, sucht sie nach Fenstern, Dächern oder Schornsteinen, um trotzdem hineinzukommen.
Matteo betont, wie wichtig es ist, die eigene Identität von WRÅD auf diesem Weg zu bewahren: „Seit wir Teil von Inside Out sind, hat sich unsere DNA nicht verändert. Die Werte passen perfekt zusammen. So können wir das Erreichte schützen und weitergeben, auch wenn wir einmal nicht mehr da sind.“
Am Ende bleibt folgende Erkenntnis: Das hier ist keine Marketingkampagne, sondern eine Mission. Amis Cameron, Mutter von fünf Kindern und Großmutter, sagt: „Ich will nicht in einem Sarg liegen und wissen, ich hätte mehr tun können.“ Ward, 39, ergänzt: „Wir sind die erste Generation, die alle Fakten kennt, und vielleicht die letzte, die handeln kann.“ Deshalb bauen sie weiter, kleinteilig und beharrlich. Mit Stoffen, Plattformen, Lehrplänen, Tools und vor allem mit Haltung. „Es geht nicht um uns. Ich mache das für die Generation, die ich nicht mal kennen werde und für ihre Kinder.“