Loïc Brunschwig
„Relevanz ist der Motor aller Entscheidungen“
Location: Toplage in Zürichs Bahnhofstraße, ganz vorne, ein Steinwurf vom Zürichsee entfernt. Objekt: Bongénie, ein Luxusgeschäft, gerade an diesem Standort neu eröffnet. Der Chef: Loïc Brunschwig, 31 Jahre jung, entschlossen. Die zentrale Frage: Inwieweit ist so ein Statement-Haus relevant?
Text: Dörte Welti. Fotos: Bongenie
Wir treffen einen entspannten Loïc Brunschwig im Restaurant Emile von Bongénie, eines der Assets, die dieses Haus ausmachen, erzwungenermaßen, aber dazu später. Kurze Rekapitulation: 1913 zog das Modehaus Grieder, das Adolf Grieder 1889 als damals führender Seidenstoffvertrieb gegründet hatte, als Mieter in ein imposantes Haus am Paradeplatz in Zürich. 1972 wurde das Geschäft an das Genfer Familienunternehmen Brunschwig & Cie. verkauft, die in der Romandie einen ähnlichen Betrieb seit 1891 unter dem Namen Bon Génie führten. Grieder blieb unter seinem Namen als luxuriöses Modekaufhaus bestehen. 2015 kaufte die Swatch Group den geschichtsträchtigen Bau am Paradeplatz (für 400 Mio. Schweizer Franken) und verlängerte den Mietvertrag der Brunschwig & Cie. SA, wie die Firma inzwischen heißt, nicht. In einem langwierigen Prozess versuchte Brunschwig den historischen Standort beizubehalten, verlor aber vor dem Bundesgericht. Eile war geboten, ein neuer Standort musste und sollte her, den man dann 250 Meter weiter an der Bahnhofstraße 3 fand. Die Entscheidung für den Umzug fiel 2020. Einzig: Das von 1880 stammende Geschäftshaus, in dem Brunschwig 4.000 Quadratmeter anmieteten, wurde von den Eigentümern, der Stiftung und Genossenschaft Baugarten Zürich, kernsaniert. Ein Projekt, das bereits 2015 gestartet worden und in vollem Gange war. Der ehrgeizige Plan, noch vor dem Weihnachtsgeschäft 2024 in die neuen Räumlichkeiten zu gehen, musste im Verlauf der Bauarbeiten aufgegeben werden. Die Eröffnung fand dann in den ersten Februarwochen 2025 statt.
Loïc Brunschwig, was verbinden Sie mit dem Begriff Relevanz?
Loïc Brunschwig, CEO Bongénie, Brunschwig & Cie SA: Ich finde es interessant, dass sie über Relevanz reden wollen. In der Vorbereitung zu unserem Gespräch war das für mich ein Augenöffner. Natürlich ist Relevanz der Motor all deiner Entscheidungen. Du musst relevant sein. Unsere statischen Geschäfte sind für uns relevant. Unsere erste Verkaufsstelle ist Genf, die zweite war immer Grieder in Zürich. Beide Geschäfte machen jeweils fast ein Viertel unseres Umsatzes aus. Wenn wir also in der Schweiz eine große Filiale in Genf und keine mehr in Zürich hätten, verlören wir viel Umsatz und haben immer noch hohe Kosten für das Backoffice und die Zentrale, die wir decken müssen. Ein signifikantes Volumen ist für uns also relevant. Darüber hinaus bot uns dieses Projekt eine großartige Gelegenheit, einen Ort an der Bahnhofstraße zu finden, den wir von Grund auf neu bauen konnten. Der ganze Prozess hat jetzt acht Jahre gedauert.
Vor acht Jahren waren Sie kaum mit der Schule fertig.
Richtig. Vor acht Jahren hatte ich gerade mein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen. Ich war aber nicht von Anfang an in das Projekt, Grieder umziehen zu müssen, involviert. Ich hatte zweieinhalb Jahre in der Digital- und Marketingabteilung unseres Unternehmens gearbeitet und ging dann für ein Jahr zur Union Bancaire Privée UBP, übrigens unsere Nachbarn jetzt an der Bahnhofstraße, aber das ist Zufall. An dem ganzen Prozess mit der Swatch Group war ich nicht beteiligt, ich kam erst dazu, als wir für diesen neuen Standort unterzeichnen konnten.
Man muss das erwähnen: Sie sind sehr jung für einen CEO eines so großen Familienunternehmens wie Brunschwig & Cie. SA.
Vorher waren mein Onkel Pierre Brunschwig und mein Vater Nicolas gemeinsam mit ihrer Cousine Anne-Marie de Picciotto in der Unternehmensleitung. Vor gut drei Jahren beschlossen sie, aus der operativen Leitung auszusteigen. Anne-Marie und Pierre verfolgen andere Interessen und Pflichten, mein Vater wurde als Verwaltungsratspräsident zu Rolex gerufen, sie bleiben aber als Aktionäre und Mitglieder des Verwaltungsrats. Sie fragten mich, ob ich zurückkommen wolle, nicht mehr in der technischen Funktion, die ich vorher hatte, sondern für die Leitung des Unternehmens. Ich sagte, okay, aber ob sie nicht das Modell Co-CEO in Betracht ziehen könnten, ich war schließlich erst 27, 28 Jahre alt. Ich meine, ich als Bankangestellter soll plötzlich 550 Mitarbeiter an 18 Standorten führen – ich hielt das für keine gute Wahl. Sie sagten zu und so habe ich mit einem unserer Direktoren Paolo Pitton in Co-CEO-Funktion begonnen. Paolo ist aber letztes Jahr gegangen, seit Frühling 2024 bin ich jetzt alleiniger CEO.
Fühlen Sie sich alleingelassen?
Nein, überhaupt nicht. Die Familienmitglieder sind sehr engagiert, sie haben immer noch ihr Büro im obersten Stockwerk des Bongénie-Geschäfts neben meinem. Wir haben ein gutes Team mit Leuten, die schon seit vielen Jahren dabei sind. Was sich seit Paolos Weggang etwas geändert hat, ist natürlich, dass wir für Fragen aus dem Konzern, für Interviews und diverse andere Belange wie Treffen mit Lieferanten immer zu zweit waren. Jetzt kommt alles zu mir. Der Kalender ist etwas komplizierter.
Sie erwähnten, ein Viertel Ihres Umsatzes entfällt auf die Standorte Genf und Zürich, insgesamt aber haben sie 18 Verkaufsstellen. Wie teilt sich da die Relevanz auf?
Relevant sind natürlich alle. Wir haben vier große Geschäfte in Genf, Zürich, Lausanne und Basel. Die anderen Standorte haben Flächen proportional zur Größe der Städte, in Luzern oder Bern sind 4.000 Quadratmeter nicht das Ziel. Größtmögliche Verkaufsflächen zu haben, ist nicht unsere Strategie. Es gibt kleinere Verkaufsstellen, die sehr profitabel sind, und größere, die weniger rentabel sind. Luzern zum Beispiel, das ist ein sehr profitabler Spot, auch wenn er eher klein ist, im Boutique-Stil mit vielleicht 20 Marken, nur für Damen, keine Herren-, keine Kinder-, keine Home- und Beauty-Abteilung. Die Lage unserer Geschäfte in den Städten ist entscheidend – wir haben regelmäßig Makler, die daran interessiert sind, einige unserer Standorte zu übernehmen.
Sie arbeiten auch mit den Max-Mara-Filialen in der Schweiz zusammen.
Wir halten 50 Prozent der Anteile an den Max-Mara-Filialen in der Schweiz. In unserer Zentrale in Genf sind die Buchhaltung, die IT, das Backoffice, die Logistik und alles, was mit all den operativen Funktionen zusammenhängt, die den Betrieb dieser Geschäfte unterstützen. National betrachtet betreiben wir direkt oder in Joint Ventures rund 30 Filialen in der Schweiz.
Welche heutigen Herausforderungen können in Vorteile umgewandelt werden?
Wir haben zwei Onlineshops. Derzeit versenden wir unsere E-Commerce-Bestellungen aus verschiedenen rechtlichen und logistischen Gründen nur in die Schweiz und nach Liechtenstein. Eine logistische Entscheidung, aber wäre es wirklich sinnvoll, Waren in die USA zu liefern, wenn E-Commerce weltweit verbreitet ist und es bereits so viele US-Lieferungen gibt? Sie bestellen bei Zalando Socken, bekommen die falsche Grösse, schicken sie per Flugzeug zurück. Die Lagerung ist aber zu teuer für Zalando, also werden die Socken vernichtet. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Unsere wahre Stärke in der Schweiz ist, dass wir überall in der Schweiz liefern. Nicht nur dort, wo wir kein Geschäft haben, sondern wo man innerhalb von 30 Minuten ein Ladengeschäft hat und die Ware einfach zurückgeben kann. Ökologisch gesehen ist es sinnvoller, das Einkaufserlebnis ist besser, der Ruf ist besser. Wenn man online bei Bongénie bestellt, weiß man, wo man sie im Problemfall findet. Der Service ist da, die Geschichte ist da.
Zurück zum neuen Standort in Zürich. Was haben Sie sich überlegt, um die Kunden in ein statisches Geschäft zu locken?
Früher brauchte man nur gute Produkte und eine gute Lage. Heute reicht das nicht mehr aus, um Kunden anzuziehen, Produkte gibt es praktisch überall und eine gute Lage im Stadtzentrum ist in der Regel verkehrstechnisch schwer zu erreichen. Wir wussten also, dass wir die Architektur brauchten, damit sich die Leute wohlfühlen und gerne herkommen. Die Besitzer des Hauses verlangten, dass beim Umbau eine Bar und ein Restaurant ins Haus kommen, die haben wir strategisch günstig im Erdgeschoss untergebracht. Vom Konzept her sollen die Leute das Geschäft als einen Ort des Lebens wahrnehmen, als etwas, das sie anzieht. Mit Service in den Einkaufszonen, wir bringen Ihnen einen Kaffee und Sie können entspannt sein. Sie können Ihre Produkte auch gerne drei Tage lang mit nach Hause nehmen und ausprobieren.
Wie relevant soll Bongénie für die Stadt Zürich sein?
Für uns ist es sehr wichtig, jeden Ort individuell zu gestalten und gleichzeitig mit der Stadt zu verbinden. Wie wir die Personalisierung für jedes Geschäft wählen, hängt vom Gebäude ab, vom Eigentümer der Kette. Für dieses Gebäude haben wir uns beispielsweise entschieden, dass ausschließlich Schweizer Holz verwendet wird. Der Stein stammt aus Norditalien. Das Gebäude ist Leed (steht für Leadership in Energy and Environmental Design) Gold zertifiziert, ein internationales Umweltlabel. Wir hatten viele Regeln und Einschränkungen vom Eigentümer und dem Denkmalschutz, die wir sehr ernst genommen haben. Um die architektonische Harmonie des Geschäfts zu fördern, verlangten wir von allen Marken, dass sie unsere Decken und Böden behalten, kein Shop-in-Shop-Konzept mit separaten Boxen. Einzige Ausnahme: Chanel. Sie haben bei uns ihren ersten reinen Schuhshop weltweit eröffnet, Chanel ist ein längjähriger Partner, wir haben eine gute Beziehung. Sie wollten ihren Bereich mit dem in den USA sehr bekannten Architekten Peter Marino umsetzen, also haben wir sie es machen lassen. Wir wollen aber kein Luxus-Einkaufszentrum sein, sondern ein Geschäft mit von uns kuratierten Marken, ein eigenes Sortiment, 90 bis 95 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit unseren Produkten, die wir selbst auswählen. Wir sind auch kein Kaufhaus, sondern ein Fachgeschäft. Ganz im klassischen Sinn. Bongénie soll dazu beitragen, das Einkaufserlebnis in der Stadt attraktiv zu machen. Viele internationale Marken sind in der Bahnhofstraße, nur vereinzelt Schweizer Geschäfte. Die Mieten sind hoch, man hat die lokalen Mieter vertrieben. Wir versuchen, diese Swissness wieder an Zürichs bester Adresse zu etablieren.
Warum wechselte mit dem Umzug der Name von Grieder Bongénie zu Bongénie?
Der Name Grieder ist am alten Ort in Stein gemeißelt, an der Hausfassade und ist geschützt, daran kann auch die neue Besitzerin, die Swatch Group, nichts ändern. Wir hatten das Gefühl, dass wir das Grieder-Haus nicht verlassen und den Namen Grieder behalten können. Aus Respekt vor dem Gebäude, vor den Zürchern. Der Name ist geschützt, aber Grieder ist auch ganz normaler Familienname, der in der Deutschschweiz weit verbreitet ist. Bongénie zu wählen, war logisch. Wir haben gleichzeitig auch das Logo geändert und ein neues Blau als Signatur eingeführt. Natürlich war es wichtig, den Leuten zu vermitteln, dass wir ein elegantes, traditionelles Schweizer Familienunternehmen bleiben. Es ist auch eine Art Etikett, denn wir produzieren unsere Produkte nicht selbst, sondern wir präsentieren eine Auswahl für den Kunden. Das Etikett soll für guten Preis, gute Produkte, den guten Service und die gute Garantie stehen. Bon eben.
Wie lange können Sie an diesem Standort in Zürich bleiben?
Wir haben sehr langfristige Verträge. Wir könnten zwischen zehn und 30 Jahren hier bleiben, aber höchstwahrscheinlich mit den Investitionen, die wir getätigt haben, 30 Jahre.
Wo wollen Sie wachsen, wenn überhaupt?
Das basiert auf Gelegenheiten. Wir investieren in Projekte, die wir für qualitativ hochwertig halten. Wir haben nicht das Ziel, ein oder zwei Geschäfte pro Jahr zu eröffnen, das ist definitiv keine Strategie. Wir kennen die Marktlage. Der Markt ist nicht einfach, weniger machen und dafür besser ist die Philosophie. Wir wollen natürlich unsere bestehenden Filialen verbessern. Wir haben einige Mietverträge, die auslaufen und daher neu verhandelt werden müssen. Wenn man gut ist in dem, was man tut, man sich verbessern kann und immer mehr Kunden kommen, weil sie es bei uns großartig finden, dann ist es besser. Wir definieren Wachstum anders. Natürlich versuchen wir, unsere Rentabilität stabil zu halten, um sicherzustellen, dass wir finanziell stark genug sind, um im Geschäft zu bleiben. Unser Ziel ist jedoch nicht, Gewinne und Dividenden zu maximieren. Die Familie hat seit etwa zehn Jahren keine Dividenden ausgeschüttet. Das gesamte vom Unternehmen erwirtschaftete Geld blieb im Unternehmen, um dieses langfristige Ziel zu unterstützen, so lange wie möglich am Leben zu bleiben und das Geld zu haben, um einige sehr wichtige Projekte zu finanzieren, wie dieses Projekt mit einer Investition von über 25 Millionen. Wachsen bedeutet für uns nicht, dass der Umsatz mit dem Alter des Unternehmens wächst. Unser Ziel war es immer, das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Ich stehe erst am Anfang meiner Generation. Es wäre nicht etwa optimistisch, sondern anmaßend zu sagen, dass ich das Unternehmen an unsere Kinder übergeben kann, aber das ist unser großes Ziel.
Und die Kinder müssen übernehmen, wenn das Familienunternehmen überlebt? Oder hat man die Wahl? Konnten Sie wählen?
Man hat die Wahl. Ich könnte morgen den Partnern mitteilen: Ich möchte Jura oder Medizin studieren oder auf eine Insel gehen, Sandwiches verkaufen und surfen. Ich kann frei entscheiden, ich habe keinerlei Verpflichtungen. Aber natürlich ist man von Klein auf involviert, wenn man in diesem Umfeld aufwächst. Die Familie hält zusammen. Wir haben eine Familienregel, dass der Partner oder die Partnerin nicht in der Firma arbeiten darf. Nur Blutsverwandte. Eine Entscheidung, die von außen altmodisch wirkt, aber das gute Einvernehmen und die Harmonie in der Familie bewahrt.

