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Sustainability | Die Idee vom grünen Store

Sustainability | Die Idee vom grünen Store

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Ökomodeläden rochen mal nach etwas zu lange gelagertem Leinen, orientalischen Räucherstäbchen und hatten den Charme unrasierter Achseln. Dann kam der Hype und mit ihm eine neue Generation von Konzepten, die jedes auf seine eigene Art und Weise das Thema Nachhaltigkeit verkörpern: zum Beispiel mit Interieur aus dem 3D-Drucker, bestehend aus recyceltem Plastik, das aus dem Ozean gefischt wurde. Die Circular Economy trumpft mit immer neuen, innovativen Ideen auf, die Wertstoffe upcycelt und nachhaltig kombiniert. Der Preis ist dabei nicht die Schwelle, denn von High-Fashion-Marken bis hin zu kleinen inhabergeführten Konzepten ist alles dabei.

Text: Isabel Faiss. Fotos: Stores

Bottletop, London | Upcycling auf High-Fashion-Niveau

Die britische Designmarke Bottletop, die 2002 aus einer Kooperation mit Mulberry in England entstand, produziert Handtaschen für das Luxussegment, die aus Lederresten und Produktionsverschnitt, aus ökologisch zertifiziertem Leder und gesammelten Flaschendeckeln bestehen. Damit hat Bottletop als erste Marke im Bereich High-Fashion-Accessoires das Thema Upcyling salonfähig gemacht. Jede Tasche besteht aus zertifiziertem Leder, das aus Agrarprogrammen wie dem Novo Campo stammt, das unter anderem für den Schutz des brasilianischen Regenwaldes eintritt. Außerdem kommen bei jedem Modell Metallverschlüsse von Flaschen zum Einsatz, die in Brasilien gesammelt und von lokalen Handarbeitern verarbeitet werden. Der Stundenlohn liegt dabei rund 45 Prozent höher als der Durchschnitt im jeweiligen Produktionsland. Damit tritt Bottletop nicht nur für ökologische Produkte, sondern auch für soziale Verantwortung ein. Ein Teil des Verkaufserlöses fließt in die Bottletop Foundation, die Gesundheitsprogramme in Äthiopien, Kenia, Simbabwe, Brasilien und England fördert.

3D-Design aus recyceltem-Plastikmüll aus dem Ozean

2017 eröffnete Bottletop auf der Regent Street in London seinen ersten eigenen Markenstore, der gleichzeitig auch der erste Zero-Waste-Store der Welt sein sollte. Ein zweimonatiges Megaevent, denn der Store wurde buchstäblich vor den Augen des Publikums live von gigantischen Kuka Iiwa 3D-Druck Robotern aus Filament gedruckt, das aus recyceltem Plastik aus dem Ozean bestand. Ein genialer Coup, der in Zusammenarbeit mit Krause Architects und der Firma AI Build aus London entstand. Sie setzten mithilfe von künstlicher Intelligenz auf großformatige robotergestützte 3D-Drucktechnologie, um die Herstellung komplexer Designs ohne Materialverschwendung zu ermöglichen. Gefüttert wurden die Drucker von Kuka mit nachhaltig gewonnenem Filament, das das Start-up Reflow aus im Ozean gesammeltem Plastik herstellte. Projektionen der Drucker zieren bis heute die Wände des Stores.

NikeLab, Schanghai, Tokio | Prestigeprojekt mit Innovationsgeist

NikeLab ist Nikes Innovationsstudio, eine Art superexklusives Shop-in-Shop-Konzept, in dem die Marke ihre Ambitionen präsentiert, mit jedem Produkt die Grenzen des bislang Möglichen weiter zu pushen. Gleichzeitig geht es aber auch immer um außergewöhnliche Kooperationen mit Künstlern, neue Ideen hinsichtlich digitaler Lösungen und eben auch darum, im Bereich Nachhaltigkeit die heißesten Neuigkeiten zu präsentieren. Gemeinsam mit dem Designstudio Miniwiz von Arthur Huang und Jarvis Liu mit Sitz in Taipei, Singapur, Peking und Mailand entstanden 2015 insgesamt neun NikeLabs weltweit. Miniwiz wurde im gleichen Jahr vom Weltwirtschaftsforum für sein Businessmodell ausgezeichnet, das es sich in seinem eigenen Trashlab zum Ziel gesetzt hat, innovatives Produktdesign und futuristische Architekturkonzepte mithilfe von Recycling und Upcycling von Wertstoffen und Produktionsabfällen zu kreieren, um so auch zu demonstrieren, was zu welchen Preisen inzwischen schon alles möglich ist.

Reis trifft Motherboard

Das Briefing an Miniwiz lautete, möglichst viele Materialreste aus der eigenen Produktion zu verwenden und alte Markenprodukte zu recyceln. So setzte Miniwiz für das Interieur der NikeLabs vor allem auf modulare, leichte und flexible Elemente und Installationen. Die Materialien, die dabei zum Einsatz kamen, feierten im Interieurdesign ihre Premiere: darunter selbst entwickelte Recyclingmaterialien wie Ricefold, ein mit Reis-Nanokieselsäure  verstärktes Polymer. Auch ReGrind, ein nicht toxisches, geruchloses Eco-Polyurethan als Materialverbund aus weggeworfenen und recycelten Nike-Sneakern. Es tauchen aber auch verschiedene andere Materiallösungen aus Elektroschrott wie Motherboards und PC-Gehäusen, weggeworfenen CDs und Plastikflaschen auf.

Adidas, Paris | Der Flagshipstore als Innovationsfläche

Im Pariser Flagshipstore auf den Champs-Élysées werden regelmäßig die neuesten Ideen zu aktuellen Kooperationen in Szene gesetzt: zum einen über eine prominente Fläche für die Zusammenarbeit mit der NGO Parley for the Ocean, auf der Adidas neue Produktinnovationen wie Laufschuhe mit einer Zwischensohle präsentiert, die aus aus dem Meer gefischten Plastik im 3D-Druckverfahren hergestellt wurde. Unter dem Titel „For the Oceans“ entstand dieser Retail Space bereits zur Weltklimakonferenz 2015, um bewusst ein Zeichen zu setzen. Zum anderen kommen hier auch kleinere Prestigeprojekte zum Zug, die einen schmaleren Radius haben, aber ebenso innovativ sind: zuletzt beispielsweise eine Kooperation zwischen der Designerin Simone Post von der Design Academy Eindhoven und der Firma I:CO, die aus alten Adidas Sneakern Teppiche produziert. Die ikonischen Streifen durften dabei nicht fehlen.

Ethic Attic, Bangalore | Botschafterin für neue Lösungen

Als Rema Sivaram 2016 Ethic Attic in Bangalore eröffnete, wusste sie, dass sie damit Pionierarbeit für eine Philosophie leisten würde, die in der heimischen Modebranche vor allem durch die Produktion von Fast Fashion wenig populär war. Slow Fashion und nachhaltige Mode erfreuen sich in Indien bis heute einer eher kleinen Fangemeinschaft, doch sie wächst langsam. Dafür veranstaltet Rema Sivaram Events und tourt als Botschafterin mit Pop-up-Stores durchs Land. Gleichzeitig informiert sie Designer in ihrem Store über neue Stoffe wie beispielsweise aus Aloe Vera, Bananenfasern oder Lotus und ermöglicht Sammelbestellungen bei den Herstellern. Ethic Attic präsentiert inzwischen über 20 verschiedene Marken aus ganz Indien, die nach strengen Kriterien ausgewählt werden.

Hat sich der Hype um nachhaltige Mode in Indien gegen die Fast Fashion durchgesetzt?

Als Land in einer Region, in der weltweit die meisten Fast-Fashion-Anbieter produzieren, ist der Zugang zu billiger Fast Fashion sehr einfach und das macht es schwierig. Nachhaltigkeit war ein fester Bestandteil unseres Alltags, schon Jahrzehnte, bevor die Massenproduktion kam. Daher müsste der Weg zurück zum Ursprung leicht für uns sein, obwohl die steigende Zahl schneller, billiger Mode ein großes Problem ist, mit dem wir umgehen müssen. Die Diskussion rund um die Moderevolution und die negativen Auswirkungen von Fast Fashion haben die Entwicklung positiv beeinflusst. Es gibt aber diesen Mythos, dass Nachhaltigkeit ihren Preis hat und nichts für junge Konsumenten ist, was wir zu widerlegen versuchen.

Worauf legen Sie bei der Markenauswahl besonders viel Wert?

Es gibt hunderte kleine Dinge, die zu einem angemessen nachhaltigen Produkt führen. Ich sage angemessen, denn um Nachhaltigkeit in der Masse zu etablieren, muss das Ganze auch erschwinglich sein. Ein zu 100 Prozent nachhaltiges Produkt ist das oft nicht. Daher schauen wir bei unserer Auswahl vor allem auf die Werte, hinter die Kulissen und ob der Nachhaltigkeitsaspekt von einem tieferen Verständnis herrührt oder nur eine Verkaufsmasche ist. Mindestens 80 Prozent Nachhaltigkeit muss ein Produkt nachweisen können, damit wir es auswählen. Manchmal ist der Prozess hinter dem Produkt allerdings nachhaltiger als das Produkt selbst. Aber ich kann stolz behaupten, dass jedes einzelne Produkt bei uns eines der 17 Sustainable Development Goals erfüllt.

Kowtow, Wellington | Die Seele Neuseelands

Gosia Piatek eröffnete ihren Markenstore Kowtow bereits 2007, damals allerdings schon auf sehr fruchtbarem Boden, denn die Sensibilität für Nachhaltigkeit ist in Neuseeland fast schon Tradition. Ihr Store reflektiert daher auch die zentralen Eigenschaften ihrer Heimat: Einfachheit, Reduktion und Großzügigkeit. Das gesamte Interieur kreierte der heimische Architekt und Interieurdesigner Rufus Knight, der dabei ausschließlich auf natürliche, nachhaltige und lokal angebaute Materialien setzte.

Platz ist der neue Luxus

Bei Kowtow kommen die deckenhohen Konstruktionen und symmetrisch angeordneten Regalsysteme besonders schön zur Wirkung, weil der Store von der Großzügigkeit der großen Räume profitiert. Alle Materialien entstammen der lokalen Natur und reflektieren für Gosia Piatek die neue Form von Luxus. Überall findet sich nachhaltig angebauter, geernteter und von Hand mit natürlichem Hartwachs veredelter Bambus. Der Kassentresen und die Displays sind aus Valchromat hergestellt, einem FSC-zertifizierten Pressspanverbund aus recycelten Holzspänen, die in der Produktion anfallen. Die Sofas im Store wurden mit erneuerbaren und kompostierbaren Fasern wie Schurwollmischungen gepolstert. Die Vorhänge sind aus nachhaltig angebautem Leinen, der im Tautrockenverfahren verarbeitet wurde. Ein Eyecatcher sind die handgemachten Keramikfließen von Gidon Bing, einem lokalen Künstler. Die Läufer bestehen aus recyceltem Kunststoff, teilweise auch aus alten Fischernetzen, die aus dem Meer gefischt wurden.

Glore, Hamburg-Altona | Die Nische in der Nische

Die inzwischen acht Glore Stores in Deutschland und Luzern in der Schweiz gehören zwar alle zur gleichen Familie und verfolgen auch das gleiche Konzept, sind wirtschaftlich aber jeder für sich und damit kein Franchise-System. Einer der Jüngsten – auch im übertragenen Sinn – ist der am 1. März 2019 eröffnete Glore in Hamburg-Altona, wo Inhaberin Mira Höpfner ganz bewusst auf eine Nische in der Nische setzt: nachhaltig und fair produzierte Streetwear für junge Kunden zwischen 20 und 40 Jahren. Unterstützt wird sie dabei wie jedes Teammitglied von der Erfahrung und dem Know-how des Glore-Gründers Bernd Hausmann, der bereits 2006 in Nürnberg den ersten Store präsentierte.

Es gibt keine Grenzen

Für das Thema Nachhaltigkeit hat Mira Höpfner entsprechend der Glore-Philosophie klare Richtlinien und einen konkreten Kriterienkatalog, den eine Kollektion hinsichtlich Produktion, Materialien, Arbeitsbedingungen und Fair Trade erfüllen muss. Aber auch im Ladenbau sind sinnvollen Ideen, die den Storealltag nachhaltiger machen, keine Grenzen gesetzt. Die Möbel bestehen größtenteils aus einer Holz-Linoleum-Verbindung, dazu unbehandelter Baustahl und ausschließlich LED-Beleuchtung. Jeder Arbeitsschritt wird auf eine nachhaltigere Alternative hin überprüft, immer. Glore ist in Altona angetreten, um eine junge Zielgruppe für GOTS-zertifizierte und den Richtlinien der Fair Wear Foundation entsprechende Mode zu begeistern, eine Mode, die von Storytelling lebt – ein Geschenk in Bezug auf Social Media.

The Mayet Collective, Mayfair, London | The spirit of community

Gemeinsam statt einsam widmen sich hier insgesamt 50 Labels in wechselnder Besetzung dem Thema Nachhaltigkeit in Form eines tourenden, monatlich stattfindenden Pop-up-Stores, genannt The Mayet Collective. Die Idee entstand unter der Regie des Südafrikaners Paul van Zyl, der ursprünglich als Anwalt für Menschenrechte und Umweltaktivist von sich reden machte und 2011 schließlich in New York das High-Fashion-Label Mayet gründete. Hintergrund der Idee war, dass die Modeindustrie auf Platz zwei der weltweit größten Umweltsünder steht und er in Luxusmarken den größtmöglichen Hebel sah, daran Schritt für Schritt etwas zu ändern. An seiner Seite stehen im Kollektiv inzwischen Marken wie beispielsweise Ecoalf, Eleven Six, Stephen Webster oder Swedish Stockings. Seit The Mayet Collective im Oktober 2018 inmitten von Mayfair in London erstmals eröffnete, trifft man sich regelmäßig, tauscht sich aus und präsentiert mit den Pop-up-Stores die gemeinsame Idee, die andere von der Machbarkeit des Konzeptes überzeugen soll. Bisher tourte der Pop-up-Store bereits durch Referenzhäuser wie Harvey Nichols oder The Conduit in London.

Wonach wählen Sie die Marken aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Olivia Mansson: Jeder Markenauswahl geht ein intensiver Auswahlprozess voran und immer die Frage nach der richtigen Platzierung, weil alle Partnerstores ihre eigene Zielgruppe haben. Es ist in unser aller Interesse, dass wir dieser Zielgruppe genau die richtigen Marken in unserem Pop-up-Store präsentieren, die sie auch ansprechen.

Was ist der wirtschaftliche Output des Projekts? Ist das ein Geschäftsmodell oder eher eine Idee des aktuellen Zeitgeists?

Wir sehen beides darin und es ist tatsächlich ein Geschäftsmodell, denn wir glauben zutiefst an das Konzept und die wachsende Nachfrage nach experimentellem Shopping und bewusstem Konsum.

Werden solche Konzepte verstärkt nachgefragt?

Wir beobachten, dass die Nachfrage so stark steigt, dass konventionelle Händler darauf reagieren müssen. Und es geht nicht darum, was man verkauft, sondern darum, wie man agiert – im Produkt ebenso wie im eigenen Handeln.

100Class Concept Store, Prag | Timelessness and Minimalism

Mit ihrem Conceptstore für faire und ökologische Mode hat Storeinhaberin Vendula Stoklásková in Prags Innenstadt genau den richtigen Ort gefunden, denn inmitten der Altstadt hat sich eine kleine, sehr kreative und unabhängige lokale Kunst- und Modeszene eingerichtet. Schon 2015, als sie ihren Store hier eröffnete, traf das Konzept auf sehr fruchtbaren Boden, denn das Bewusstsein für besonnenen Konsum haben die Prager längst verinnerlicht.

Was ist das Motto ihres Stores?

Das von Vivienne Westwood: Buy less, choose well. Ich selbst kaufe schon immer langlebige Produkte, vor allem Mode. Durch meine Arbeit will ich den Leuten zeigen, dass das Konzept im Alltag funktioniert. Ich weiß, dass das heute ein Trend ist, aber uns geht es nicht um Trends, sondern um Langlebigkeit.

Und wie nehmen die Prager Kunden das Angebot an?

Es gibt noch nicht die große Nachfrage und braucht noch etwas Zeit, aber es entwickelt sich. 

Worauf legen Sie besonders Wert?

Die Produkte müssen von besonderer Qualität sein, um zeitlos und langlebig zu sein. Für das Redesign unseres Interieurs haben wir diesmal Freunde gebeten, uns beim Upcyceln verschiedener Materialien zu helfen: Beispielsweise sind die Regale alt und stammen aus anderen Stores. Für die Umkleidekabinen verwenden wir nur Materialien, die wir bereits für einen Stand bei einer Designmesse im Einsatz hatten. Für uns zählt jeder Aspekt, nicht nur die Produkte im Laden selbst.

Was ist die größte Chance für ein Umdenken in der Modebranche?

Bewusst kaufende Kunden.

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