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„Wir verkaufen eigentlich nichts, was man braucht“

„Wir verkaufen eigentlich nichts, was man braucht“

Beim Klagelied über das Kaufhaussterben will André Maeder nicht mitsingen, schon gar nicht, wenn er auf das Luxussegment schaut.

Bei seiner Analyse sitzt er quasi in der ersten Reihe. Als CEO der KaDeWe Group hat Maeder einen tiefen Einblick ins Geschäft des Berliner KaDeWe, des Oberpollinger in München und des Alsterhauses in Hamburg. Statt um dieses Portfolio zu bangen, feiert er den 115.Geburtstag von KaDeWe und das Grand Opening und kündigt für die nächsten zwei Jahre die Eröffnung zweier neuer Luxuskaufhäuser an, erst das Carsch-Haus in Düsseldorf, dann das Lamarr in Wien. Im Interview erklärt er, woher dieser Optimismus stammt, aber auch, wie radikal sich die Erwartungen der Kundschaft geändert haben. Selbstredend hat Maeder auch dafür einen Plan.

Interview: Stephan Huber. Text: Petrina Engelke. Fotos: KaDeWe

Herr Maeder, bei der KaDeWe Group scheint es keinerlei Zweifel zu geben, dass Stadtzentren und ihr Handel eine Zukunft als Lebens- und Erlebnisraum haben. Warum sind Sie da so optimistisch?

André Maeder, CEO KaDeWe Group: Wir glauben, dass die Innenstädte die Marktplätze der Vergangenheit und auch der Gegenwart sind, speziell die großen Warenhäuser. In unserem Fall sind es Luxuswarenhäuser, aber ich glaube, dass ein Innenstadt-Warenhaus generell heute Hand und Fuß hat, wenn es richtig bespielt wird. Ein Warenhaus dient natürlich auch zum Pullover-, Socken- oder Tassenkaufen, aber im Kern ist es ein Ort des Erlebnisses, wie früher auf dem Marktplatz. Die Leute kamen von umliegenden Dörfern in die Stadt, um Sachen zu sehen, die sie noch nie erlebt, noch nie gespürt, noch nie gerochen, noch nie gefühlt haben. Damit kann ein Warenhaus gestern wie heute eine entscheidende Rolle spielen. Und ich bin sicher, dass die Innenstadt für eine Gesellschaft enorm wichtig ist, nicht nur in den größten Städten Deutschlands und Europas. Dabei geht es um ein Erlebnis, vom Kino über die Galerie und das Restaurant bis zum Blumenladen.

Der Marktplatz existiert aber nicht mehr nur physisch, sondern Omnichannel bzw. phygital, wie man das heute eigentlich nennt. Heißt die große Herausforderung für den Handel jetzt, zu verstehen, wann der Kunde wo abgeholt werden will?

Unbedingt! Die Kunden und ihre jeweils individuellen Wünsche möglichst genau zu verstehen, ist der Schlüssel. Das war auf unserem Niveau allerdings schon immer so. Es ist nur komplexer geworden. Ich glaube, die Zukunft wird für alle schwierig, die einzig und allein Ware verkaufen. Ich sage immer: Wir verkaufen nichts, was man braucht. Natürlich ist das ein bisschen ironisch oder sogar provokativ. Aber gleichzeitig auch unser Ernst, denn wir verkaufen eben ein Lebensgefühl. Oder besser gesagt: Wir bieten ein Lebensgefühl, dieses muss man nicht bezahlen. Man kann auch einfach durch das KaDeWe gehen, gerade jetzt im Weihnachtsgeschäft die Stimmung des Hauses mitnehmen und gutgelaunt wieder rausgehen. Oder man kommt, um schöne Menschen zu sehen oder um Freunde zu treffen. Natürlich hat der Marktplatz heute auch noch eine andere Ausprägung. Aber seine Bedeutung liegt in meinen Augen in erster Linie im Treffpunkt, im Sehen-und-gesehen-Werden, im Erleben.

Woher kommt dieser feste Glaube daran, dass unabhängig von der Digitalisierung der Gesellschaft die Lust am physischen Erlebnis nicht nur bleiben, sondern sich vielleicht sogar verstärken wird?

Wenn die ganze Welt online wäre und E-Commerce machte, dann würden wir ja praktisch aussterben, dann wäre jeder nur noch zu Hause und isoliert. Was fehlt, sieht man auch in der neuen Arbeitswelt, obschon sich das Modell so eingebürgert hat, dass es ein Teil-Homeoffice gibt. Die Leute schätzen diese Freiheit, wollen aber gleichzeitig immer wieder in Kontakt kommen mit ihren Kolleginnen und Kollegen. Der Mensch ist ein soziales Wesen.

Der Kunde ist heute nicht mehr nur theoretisch König, sondern er bekommt alles, was er will, wann er will und wo er will. Was bedeutet das strategisch?

Wir werden uns noch einmal anpassen – Oder präziser – unsere Stärken weiter stärken. In den letzten sieben Jahren haben wir an allen drei Standorten die Strategie „Luxury up“ implementiert. Damit haben wir eine deutschlandweite Marktführerschaft bei der Produktauswahl angestrebt und inzwischen haben wir die wichtigsten internationalen Brands in jedem Segment, nicht nur bei Fashion und Schuhen, sondern auch bei Food, Home oder Beauty. Das war wichtig, weil wir damit noch klarer in unserer Positionierung geworden sind. Im nächsten Schritt geht es um eine noch klarere, individuellere Fokussierung auf unsere Kundinnen und Kunden. „Customer Centricity“ nennen wir das.

Wie bildet man die Grundlagen für diese Customer Centricity?

Allem voran per Gesprächen mit dem Kunden und Analysen, um ihn noch besser kennen zu lernen und auf seine Wünsche gezielt einzugehen, ohne ihn gläsern zu beleuchten. In diesem interaktiven Austausch auf Augenhöhe lernen wir so viel. Unsere Branche hat ja den großen Vorteil, dass wir mit unseren Kunden direkt im Kontakt stehen. Wir sehen, was sie kaufen, und wir können testen, was sie gerne haben und was nicht. Natürlich machen wir Foren, Interviews und, und, und. Aber wir suchen auch Feedback in ganz normalen, alltäglichen Gesprächen mit den Verkäufern. Das ist eines der wichtigsten Assets, die wir haben.

Die Rolle von Verkäuferinnen und Verkäufern, um bewusst diesen fast schon verpönten Begriff zu verwenden, scheint sich gerade auch völlig neu zu definieren. Wie geht die KaDeWe Group damit um?

Zunächst einmal glaube ich, dass der Verkäufer, die Verkäuferin immer gleich wichtig war, vor allem im Luxussegment, in dem wir uns bewegen. Eine Tasche für 5.000 Euro oder mehr geht nicht einfach so über den Ladentisch. Da darfst du nicht nasse Hände kriegen aus lauter Angst, dass du so eine teure Tasche anfasst. Diese Souveränität ist die Basis. Ich glaube allerdings, dass das Verkaufsteam mit der Zeit gehen muss, wie der Kunde auch. Kunden sind heute enorm informiert. Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Verkäufer und Verkäuferinnen genauso informiert sind. Das heißt, sie müssen in die Restaurants, in die Clubs, die brauchen Social-Media-Kompetenz. Sie müssen die Welt, die sie am Point of Sale repräsentieren kennen. Ich glaube, es wird schwierig, wenn du ein Team hast, das überhaupt nicht den Lifestyle lebt, und das meine ich jetzt nicht in Bezug auf das Geld, sondern mehr in Richtung Mindset. Zweitens und mindestens ebenso wichtig: Wir müssen als Unternehmen, vor allem aber gesamtgesellschaftlich diesem Beruf den Stellenwert und das Ansehen geben, das er auch verdient. In Amerika oder England hat der Verkäuferberuf eine ganz andere Stellung als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Da müssen wir hin. Denn wenn das passiert, werden viel mehr junge Menschen als aktuell eine Karriere im Handel in Betracht ziehen. Und zwar nicht als Plan B, sondern als Plan A.

Wie leicht oder schwer tun Sie sich momentan bei der Personalsuche?

Ganz gut, ehrlich gesagt. Da hilft uns die europäische Gruppe, zumindest ab einem gewissen Level. Denn wenn wir jetzt neue Management-Trainees, Abteilungsleiter oder Einkäufer einstellen, haben die ihre Chance auf eine Karriere stark erhöht. Es gibt genau zwei Branchen auf der Welt, wo man sehr schnell eine unglaubliche Karriere machen kann, das habe ich selbst erlebt. Das sind die Hotellerie und der Einzelhandel. Du siehst Hoteldirektoren und General Manager von Kaufhäusern, die sind Anfang 30. Das ist in anderen Branchen unüblich und ich sehe darin durchaus einen Anreiz für Talente. Das wird allerdings den Verkäufer kaum beeinflussen. Die richtigen Leute zu finden, wird aber das vielleicht wichtigste Thema der nächsten zehn Jahre. Die Lösung hat mit Karrieremöglichkeiten, Bezahlung und dem in den Job integrierten Wohlbefinden zu tun.

Mit dem Carsch-Haus in Düsseldorf und dem Lamarr in Wien haben Sie für die kommenden Jahren zwei spektakuläre Neueröffnungen angekündigt. Was sind die wichtigsten Alleinstellungsmerkmale dieser Häuser?

Das Wichtigste ist immer die sehr individuelle Positionierung der einzelnen Häuser. Wir sind keine Kette. Gegenüber unseren Kundinnen und Kunden sind wir das KaDeWe, der Oberpollinger, das Alsterhaus, bald schon das Carsch-Haus und ab Herbst 2024 das Lamarr in Wien. Das ist schon eine großartige USP. Unsere Häuser haben viel lokalen Spirit. Bei Lamarr in Wien zum Beispiel werden wir in der sechsten Etage sechs Restaurants haben, alle von Wiener Gastronomen geführt. Bereits im KaDeWe haben wir die Erfahrung gemacht, wie wichtig das ist, lokale Gastronomie ins Haus zu holen. Das Lokalkolorit stärkt die Verbindung zur Stadt und zu den Kunden enorm. Und zwar sowohl mit den lokalen wie auch den internationalen Kunden.

Wie zeigt sich dieses Lokalkolorit in den Modeabteilungen?

In Berlin haben wir zum Beispiel eine enge Partnerschaft mit lokalen Designern, auch in Wien freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit den österreichischen Brands. Wir suchen gezielt auch kleine, lokale Manufakturen, die vielleicht noch gar keine internationale Bedeutung haben. Denn sie sorgen für zusätzliche Spannung und Überraschungsmomente. Diesen starken lokalen Bezug leben wir nicht nur in den Sortimenten. Unser Haus in Hamburg hat zum Beispiel allein von den Farben her eine ganz andere Ausstrahlung als das in München. Zwischen diesen Städten liegen 1.000 Kilometer, die sich in einem anderen Einkaufsverhalten spiegeln. Und ich bin überzeugt, dass diese lokale Gestaltung und Gewichtung in Zukunft noch viel wichtiger werden.

Sie haben angekündigt, dass Carsch-Haus und Lamarr neue Maßstäbe setzen werden in Sachen hybrides Erlebnis und Digitalisierung des Point of Sale. Was heißt das konkret?

Natürlich wollen wir jetzt noch nicht alle Geheimnisse verraten. Aber ich kann schon sagen, es werden die digitalsten Departmentstores der Welt sein. Damit meinen wir nicht, dass wir an jeder Ecke Bildschirme aufhängen, auf denen irgendeine Modenschau läuft, sondern, um ein ganz konkretes Beispiel zu nennen, dass der Kunde die Warenverfügbarkeit über sein Handy eingespielt bekommt. Über RFID ist es möglich, dass man das Mobiltelefon nur an den Pullover halten muss, um auf der entsprechenden App zu sehen, wie viele dieser Pullover in welchen Farben im Laden sind oder im E-Commerce-Lager der KaDeWe Group. Auch der Zahlungsvorgang wird übers Smartphone laufen, und zwar konsequent im ganzen Store. Denn an der Kasse kommt ein unkomfortabler Moment: Man wird sein Geld los, muss warten und wird plötzlich von jemand ganz anderem bedient, vielleicht sogar abgewickelt, nachdem man vorher eine Stunde bei seinem Verkäufer oder seiner Verkäuferin toll und persönlich beraten wurde. Diese Erfahrung werden wir in Zukunft verschönern.

Wir beide kommen ja sozusagen noch aus der analogen Zeit. Wie hat sich denn die Rolle des Kaufhauses innerhalb des städtischen Ökosystems verändert, wenn Sie auf Ihre Zeit bei Harrods zurückblicken?

Auf den ersten Blick hat sich gar nicht so viel verändert. Das KaDeWe, das Selfridges, Harrods oder Lafayette stehen unverändert als Leuchttürme in großen, internationalen Metropolen. Und entfalten ihre jeweils individuelle Anziehungskraft für die Besucher. Aber diese Besucher sind im Vergleich zu früher einerseits noch viel internationaler geworden. Andererseits bewegen sie sich heute in der Stadt ganz anders. Sie fahren nicht mehr mit dem Auto, gerade in Berlin, sie kommen mit dem Roller oder mit dem Rad, es ist weniger Verkehr. Dadurch hat sich das Stadtgefühl verändert. Und die Verweildauer der Kunden im Laden hat sich ausgeweitet, sie bleiben deutlich länger, im Durchschnitt etwa zwei Stunden. Dadurch hat sich wiederum der Anspruch des Kunden total gewandelt. Von einem Haus wie unserem wird beispielsweise erwartet, dass wir das Thema Nachhaltigkeit ernst nehmen. Wir haben seit sieben Jahren keine Plastiktüten mehr und bieten seit zehn Jahren keinen Pelz im Sortiment mehr an. Heute müssen wir unseren Fokus auf die Energie legen. Im Lamarr in Wien wird der Strom beispielsweise größtenteils aus Solarzellen stammen. Da gibt es so viele Möglichkeiten. Und wenn man sich diesem Thema einmal geöffnet hat, erkennt man als Unternehmen auch schnell das Potenzial. Nicht zuletzt ökonomisch. Denn die Kunden der Zukunft werden ihre Entscheidungen immer stärker nach solchen Kriterien ausrichten. Das ist eine große Veränderung, die sich auch auf die Innenstädte insgesamt auswirken wird. Wir sollten das als Chance erkennen!

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