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HeiQ AeoniQ | „Ziel ist, dass 2035 niemand mehr in die Polyesterproduktion investiert“

HeiQ AeoniQ | „Ziel ist, dass 2035 niemand mehr in die Polyesterproduktion investiert“

Hat die Schweizer Firma HeiQ etwa die eierlegende Wollmilchsau für Klimaschutz in der Mode erfunden?

HeiQ AeoniQTM soll das aus Erdöl gewonnene Polyester ersetzen. Das Garn ist so robust wie Polyester und wird aus nicht von Holz stammender, biologisch abbaubarer Zellulose hergestellt, es lasst sich färben, mit herkömmlichen Maschinen verarbeiten und es kann immer wieder neu gesponnen werden. Recycling von Polyester sieht HeiQ CEO Carlo Centonze vorerst allerdings nicht als umsetzbare Lösung für die Modebranche.

Interview: Petrina Engelke. Fotos: HeiQ AeoniQTM

Bei HeiQ haben Sie im Textilbereich bislang vor allem Finishing-Technologien entwickelt. Was hat Sie dazu bewegt, ein neuartiges Garn zu erfinden?

Carlo Centonze: Die Idee für HeiQ AeoniQTM stammt eigentlich aus einem gescheiterten Projekt. Einer unserer Outdoorkunden hatte uns gebeten, eine Technologie gegen den Mikrofaserabrieb von Fleece beim Waschen zu entwickeln. Den konnten wir um 40 Prozent reduzieren, aber ehe wir diese Technologie auf den Markt brachten, haben wir uns gemeinsam gefragt: Stoppen wir das Problem damit wirklich? Die Antwort war: Wir verzögern es nur. Um das dringliche Umweltproblem der Polyester-Mikrofasern wirklich zu lösen, brauchen wir ein Polymer, das biologisch abbaubar ist. Und Zellulose ist das am meisten verfügbare Biopolymer in der Welt. Existierende Zelluloseverfahren kommen aber nicht an das Performance-Niveau der Synthesefasern heran. Deshalb brauchten wir ein neues Herstellungsverfahren.

Welche Hürden sehen Sie auf Ihrem Weg dahin, Polyesterstoffe durch eine klima- und umweltfreundlicheren Alternative zu ersetzen?

Drei Dimensionen sind wichtig: Preis, Performance, Rohstoffe. Die wichtigste ist der Preis. Mit 1,50 und 1,60 US-Dollar pro Kilogramm ist Polyester eine sehr kostengünstige Faser. Denn sie wird in enormen Mengen hergestellt, rund 80 Millionen Tonnen im Jahr, auf die alles optimiert wurde. Zweitens haben Kunstfasern im Vergleich zu natürlichen Fasern eine sehr hohe Leistungsfähigkeit, mit der man gleichziehen muss. Und wenn man sich auf ein Material fokussiert, das man potenziell in einer Größenordnung von 80 Millionen Tonnen herstellen möchte, muss man sich drittens auch Gedanken über Rohstoffquellen machen. Und wir haben uns zwar für Zellulose entschieden, aber wir wollen dafür keinen einzigen Baum fällen. Wir haben drei Zellulosequellen identifiziert: Abfallprodukte aus der Landwirtschaft und aus der Nahrungsmittelindustrie plus Textil-Recycling, also alte Baumwollgewebe, die aufgelöst und zu Zellstoff verarbeitet werden.

Der Name HeiQ AeoniQTM spielt auf die Ewigkeit an. Heißt das, die daraus gemachte Kleidung kann immer wieder recycelt werden?

In unserem Verfahren können wir diese Faser so oft wir wollen aufbereiten und wieder spinnen, ohne dass wir die Performance verlieren. Aber man muss im Auge behalten, dass die meisten Textilien auf einer Müllkippe enden. Der Recyclinganteil in der Textilindustrie beträgt nur ein Prozent. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass wir das gleiche T-Shirt noch einmal zurück kriegen, liegt bei einem Prozent. Deshalb brauchen wir eine Technologie, die sehr schnell biologisch abbaubar ist. Wenn Sie die HeiQ AeoniQTM Faser im Garten vergraben, ist sie nach drei Monaten weg.

Die allermeisten Textilien landen auf der Müllkippe, dort verrottet ein Polyester erst nach 1.000 Jahren.

Ja, Müllkippen sind ein Problem, das unsere zukünftigen Generationen lösen müssen. Jetzt müssen wir die Lösung nach vorne umsetzen, mit biologisch abbaubaren Stoffen, welche sich auf der Müllkippe oder in den Ozeanen in Wochen abbauen lassen – und wir müssen den Polyester-Plastik-Zufluss stoppen.

Sie planen eine Milliardeninvestition in HeiQ AeoniQTM und haben mit Hugo Boss und Lycra schon namhafte Partner gewonnen. Was ist Ihr konkretes Ziel?

Unser ultimatives Ziel ist: Im Jahr 2035 investiert niemand mehr in die Polyesterproduktion. HeiQ hat die Ambition, die Speerspitze beim Erzwingen dieses Wandels in der Industrie zu sein. Wenn wir unser Produktionsziel von einer Million Tonnen bis 2030 und zehn Millionen Tonnen bis 2035 erreichen, dann werden wir mit diesem Volumen effektiv auch den Polyesterpreis unterbieten können. Und das ist der eigentliche Game-Changing-Moment in der Industrie. Durch meine Herkunft aus einer Unternehmerfamilie konnte ich früh lernen, dass Innovation sich ins Preisgefüge am Markt einbringen muss, um dort erfolgreich zu sein. Wenn du günstiger produzieren kannst als die umweltverschmutzende Technologie, wird keiner mehr in die verschmutzende Technologie investieren.

Kann auch eine Modeladenbesitzerin etwas tun, um Polyester aus der Welt zu schaffen?

Ja, natürlich. Sie kauft ja ihr Sortiment ein. Sie kann darauf schauen, dass sie dabei eher auf Polyester und Polyamid verzichtet und auch ihre Kunden sensibilisiert. Sie könnte auch als Recycling-Sammelstelle für ihre Kunden agieren und beim Zurückbringen einen Rabatt anbieten.

Und was ist mit Kleidung aus recycelten Plastikflaschen?

Für mich ist das ganz klar Augenwischerei. In der Schweiz muss jede Plastikflasche per Gesetz zu 75 Prozent aus alten Plastikflaschen gemacht sein, weltweit liegt der Recyclinganteil bei ungefähr 51 Prozent. Das heißt, dieser Zyklus funktioniert. Und jetzt stören wir die Plastikflaschenindustrie, indem wir daraus etwas für Textilien abzwacken, die aber nur zu einem Prozent wieder in einen Recyclingkreislauf zurückgehen? Wir als Branche müssen sauber werden und dafür sorgen, dass unsere Produkte entweder wieder zurückkommen oder abbaubar sind, wenn sie in der Landschaft enden. Und wie gesagt, ob recycelte oder nicht recycelte Herkunft: Polyester bedeutet Plastik in der Umwelt.

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